Es muß nicht immer Kaviar sein
dieser Ansicht gekommen sind, Herr Major. Kann ich also gehen?«
»Wieso gehen? Sie kommen ins Zuchthaus!«
Thomas setzte sich. »Aber ich bin doch unschuldig!«
»Machen Sie das der Gestapo klar, Herr Lieven. Nein, nein, Ihr Partner hat sich schon alles richtig überlegt.«
»Hm«, sagte Thomas. Er sah den Major an. Er dachte: Da kommt doch noch etwas …
Es kam prompt: »Sehen Sie, Herr Lieven,
einen
Ausweg gibt es natürlich noch für Sie. Sie sind deutscher Staatsbürger. Sie kennen die Welt. Sie sind ein kultivierter Mensch. Sprechen fließend Englisch und Französisch. So etwas wird gesucht in diesen Tagen.«
»Gesucht von wem?«
»Von uns. Von mir. Ich bin Abwehroffizier, Herr Lieven. Ich kann Sie hier nur heraushauen, wenn Sie sich bereit erklären, für die militärische Abwehr zu arbeiten. Im übrigen – wir zahlen gut …«
Major Fritz Loos war der erste Angehörige eines Geheimdienstes, den Thomas Lieven traf. Unzählige andere sollten folgen – Engländer, Franzosen, Polen, Spanier, Amerikaner und Russen.
Achtzehn Jahre nach dieser ersten Begegnung, am 18. Mai 1957, dachte Thomas Lieven in der nächtlichen Stille eines Luxusappartements zu Cannes: Im Grunde waren sich alle diese Leute unendlich ähnlich. Alle wirkten sie traurig, verbittert, enttäuscht. Alle waren sie wohl aus ihrer Bahn geworfen worden. Alle wirkten sie krank. Sie waren alle eher schüchtern und umgaben sich deshalb unablässig mit den lächerlichen Attributen ihrer Macht, ihres Geheimnisses, ihres Schreckens. Sie spielten alle ununterbrochen Theater, sie litten alle an einem tiefen Minderwertigkeitskomplex …
Das alles wußte Thomas Lieven in einer schönen Mainacht des Jahres 1957. Am 27. Mai 1939 wußte er es noch nicht. Da war er einfach entzückt, als der Major Loos ihm den Vorschlag machte, für die Deutsche Abwehr zu arbeiten. Auf diese Weise komme ich erst einmal aus dem Dreck heraus, dachte er und wußte nicht, wie tief er schon mittendrin steckte …
4
Als die Lufthansa-Maschine die niedere Wolkendecke durchbrach, die über London lagerte, gab der Passagier auf Platz Nr. 17 ein seltsames Geräusch von sich.
Die Stewardeß eilte zu ihm. »Geht es Ihnen nicht gut, mein Herr?« fragte sie teilnahmsvoll, dann sah sie, daß Nr. 17 lachte.
»Mir geht es ausgezeichnet«, sagte Thomas Lieven. »Verzeihen Sie, ich mußte nur eben an etwas Komisches denken.«
Er hatte an das enttäuschte Gesicht des Asservatenverwalters im Gestapo-Hauptquartier Köln denken müssen, als dieser ihm seine Sachen zurückgab. Von der goldenen Repetieruhr hatte sich der Mann kaum trennen können.
Thomas nahm das geliebte Stück hervor und strich zärtlich über den zierlichen Deckel. Dabei entdeckte er noch etwas Druckerschwärze unter dem Nagel seines Zeigefingers. Er mußte wieder lachen bei dem Gedanken, daß es seine Fingerabdrücke nun in einer geheimen Kartei gab und sein Foto auf einem Personalbogen. Ein Herr namens John Smythe (mit y und th) würde übermorgen in sein Haus kommen, um den Gasofen im Badezimmer nachzusehen. Diesem Herrn Smythe war unbedingter Gehorsam zu leisten, hatte Major Loos eindringlich hinzugefügt.
Herr Smythe mit y und th wird sich wundern, dachte Thomas. Wenn er wirklich auftauchen sollte, dann werde ich ihn hinausfeuern!
Die Maschine verlor an Höhe. Mit Südwestkurs steuerte sie über die Themse auf den Flughafen Croydon zu.
Thomas verwahrte seine Uhr und rieb kurz die Hände. Er reckte sich wohlig. Aah – wieder in England! In Freiheit! In Sicherheit! Jetzt in den Bentley gesprungen! Ein heißes Bad! Dann einen Whisky! Eine Pfeife! Die Freunde im Club! Das große Erzählen …
Tja, und dann natürlich Marlock.
So groß war Thomas Lievens Glück über diese Heimkehr, daß schon sein halber Zorn verflog. Mußte er sich wirklich von Marlock trennen? Vielleicht gab es eine Erklärung, die man annehmen konnte. Vielleicht hatte Marlock Sorgen. Man mußte ihn auf jeden Fall erst einmal anhören …
Sieben Minuten nach diesen Gedankengängen schritt unser Freund beschwingt über eine herangerollte Treppe aus der Maschine auf den regennassen Platz vor dem vierstöckigen Flughafengebäude herab. Unter seinem Regenschirm marschierte er pfeifend auf die Einwanderungshalle zu. Hier gab es zwischen Seilabsperrungen zwei Korridore. Über dem rechten stand: »British Subjects«, über dem linken: »Foreigners«.
Immer noch pfeifend wandte Thomas sich nach links und trat an das hohe Stehpult des
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