Es muß nicht immer Kaviar sein
Führerreserve … für die wichtigsten Leute …«
Frau Hellbricht, verblüht, verhärmt und traurig, sagte, den Magermilchquark passierend: »Deshalb haben wir Sie hergebeten. Die Lebensmittel müssen ausgegraben werden. So viele hungern … Wir haben wenigstens noch unser eigenes Dach über dem Kopf. Wir kommen schon durch. Aber die Ausgebombten, die Flüchtlinge, die Kinder …«
Von diesem Tag, dem 2. August 1945, an geschah zweierlei: Heimlich wurde ein riesiges Lebensmittellager ausgegraben – viele tausend Konservenbüchsen mit Fett, Fleisch, Marmelade, Kunsthonig, Kaffee, Tee, Fliegerschokolade, Traubenzucker, Mehl, Gemüse, Obst. Diese Schätze wurden Hilfsorganisationen zur Verteilung an Kranke, Greise und Kinder übergeben.
So schnell es ging, wurden die Waldschneise und das Moos wieder so hergerichtet, als ob man nie gegraben hätte. Und dann wurde das Waldstück hinter dem Hof des Kreisbauernführers Hellbricht von ausgesuchten Leuten des »Kriegsverbrecher-Suchdienstes« Tag und Nacht bewacht.
Am 11. August, in der Dämmerung – Thomas hatte gerade Dienst –, kam ein Mann die Schneise heraufgeschlichen. Nach allen Seiten sichernd. Bei jedem Geräusch zusammenfahrend. Einen leeren Rucksack umgeschnallt. Einen kleinen Spaten in der Hand. Thomas kannte diesen Mann mit dem bleichen, gnadenlosen Gesicht von Fahndungsfotos her.
Der Mann begann zu graben, immer schneller, immer gieriger. Bemerkte zu spät, daß plötzlich drei Männer hinter ihm standen. Fuhr herum. Kam mühsam auf die Beine, taumelte zurück, Panik im Gesicht.
»Gestapo-Chef Zimmermann«, sagte Thomas Lieven, der plötzlich eine Pistole in der Hand hatte. »Sie sind verhaftet.«
Ach, und sie kamen alle, die großen Bonzen, die von dem vergrabenen Lebensmittellager wußten, sie kamen alle! Thomas Lieven hatte den Wachen eingeschärft: »Jeder, der hier zu buddeln anfängt, ist ein Bonze. Sofort hochnehmen, den Kerl!«
Siebzehn große Nazis wurden auf diese schlichte Weise zwischen August und Oktober 1945 verhaftet.
Für den ehemaligen Kreisbauernführer Hellbricht setzte Thomas durch, daß er als Mitläufer eingestuft und mit einer Geldstrafe belegt wurde. Er durfte seinen Hof behalten.
5
Der erste Nachkriegsherbst kam. Die Menschen hungerten, die Menschen froren. In der französischen Zone wuchsen die Spannungen zwischen Besetzern und Besetzten – zum Teil auf Grund deutscher Ressentiments, zum Teil auf Grund französischer Ungesetzlichkeiten – immer mehr an. Dieses geschah leider auch:
Unter Leitung eines Pariser Fachmannes montierten französische Truppen im Schwarzwald die Maschinenautomaten der heimischen Uhrenindustrie ab und versuchten, Facharbeiter nach Belfort und der Haute-Savoie zu verschleppen, um eine französische Uhrenindustrie aufzuziehen.
Die Produktion der Maschinennadelfabriken in der französischen Zone wurde beschlagnahmt und von einigen wenigen Leuten in die Schweiz verschoben. Die deutschen Arbeiter wurden mit schlechten R-Mark schlecht, mit wenigen Lebensmitteln noch schlechter bezahlt. Gewissenlose ausländische Geschäftemacher holzten in rücksichtsloser Weise ganze Forste ab. Tag und Nacht kreischten am Titisee die Bandsägen. Noch jahrelang erinnerten riesige Kahlschläge hier an ein gemeinsames Raffkegeschäft.
Hinter der noch halbwegs intakten Fassade von Baden-Baden verfielen Anstand und Moral. Es kam zu Prügeleien, Racheakten und Messerstechereien. Soldaten plünderten, stahlen und schossen wild in der Gegend herum. Mit Maschinenpistolen töteten sie schöne Schwäne; ein sinnloses Gemetzel.
Thomas wußte genau, daß der blonde, schlanke Lieutenant Valentine zu jener Clique gehörte, die sich auf dunkle, niederträchtige Weise bereicherte. Er konnte es ihm nur monatelang nicht nachweisen. Am 3. November 1945 konnte er es dann …
Einen Tag zuvor war Thomas zu Ohren gekommen, daß der junge Lieutenant wieder einmal eine seiner geheimen Hausdurchsuchungen plante. Als Valentine am Nachmittag des 3. November Baden-Baden mit zwei Soldaten in einem Jeep verließ, folgte Thomas ihm in einem anderen Jeep. Er war sehr vorsichtig und hielt genügend Abstand.
Sie fuhren bis Karlsruhe. Hier bogen sie ab auf die Straße nach Ettlingen. An Ettlingen vorüber ging es bis nach Spielberg. Hier, über dem Dorf, erhob sich ein dunkles Gemäuer, das in einem großen Park, umgeben von einer hohen Mauer, stand. Dort hinauf fuhr der Lieutenant mit seinem Jeep. Vorsichtig hielt Thomas auf halber
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