Es muß nicht immer Kaviar sein
Darauf stand:
EMIL ROBERT GOLDFUSS
Die Tür befand sich im obersten Stockwerk des gewaltigen Mietshausblocks Fulton Street 252. Zwei Männer standen am 21. Juni 1957 um 19 Uhr 06 vor dieser Tür. Der eine zog eine Pistole aus dem Schulterhalfter und entsicherte sie. Der andere zog eine altmodische goldene Repetieruhr aus der Tasche. »Komisch«, sagte Thomas Lieven. »Erst sieben, und ich bin derartig hungrig!« Dann klopfte der FBI -Mann an die Tür, trat zur Seite und hielt die Pistole vor …
Die Tür ging auf. Ein hagerer Mann in blauem Malerkittel, eine Palette in der Hand, stand in ihrem Rahmen. Er lächelte gewinnend, strahlte Sympathie und Klugheit aus. Auf die Pistole des FBI -Agenten blickend, sagte er: »Was soll das, mein Herr? Ist das ein Scherz? Eine Reklame? Ein Präsent?«
»Mr. Goldfuß oder Mark oder Collins«, sagte der FBI -Agent, »oder wie immer Sie sich nennen wollen – Sie sind verhaftet.«
»Verhaftet von wem?«
»Vom FBI .«
Der Maler sprach freundlich: »Sie können mich nicht verhaften, mein lieber Herr. Ich habe keine strafbare Handlung begangen, und Sie haben auch keinen Haftbefehl.«
»Doch, doch, Mr. Goldfuß, wir haben«, sagte Thomas und trat näher. Auch er lächelte gewinnend.
»Wer sind Sie?«
»Ein Freund des Hauses«, antwortete Thomas. »Des FBI -Hauses, meine ich. Sehen Sie, Mr. Goldfuß, für Sie lag seit Tagen ein Haftbefehl vor. Wir mußten nur noch einen hübschen Verhaftungsgrund finden und ihn einsetzen. Gestern haben wir einen sehr hübschen gefunden, einen falschen Geburtsschein …«
Aus dem Stockwerk unter dem Atelier kamen plötzlich zwei Männer herauf, weitere zwei Männer kamen vom Dachboden herab.
Thomas sagte: »Wir haben diese lieben Freunde mitgebracht, weil wir natürlich wissen, daß Sie nicht nur ein charmanter Geburtsscheinfälscher sind.«
»Sondern?«
»Sondern vermutlich der beste Agent, den die Sowjets jemals besaßen. Und ich mache nie übertriebene Komplimente«, sagte Thomas Lieven lächelnd.
Mr. Goldfuß erwiderte dieses Lächeln. Die beiden Herren sahen einander schweigend an. Der Blick hielt …
Die Atelierwohnung wurde sogleich durchsucht. Die Männer des FBI fanden den Geburtsschein auf den Namen Martin Collins, Papiere auf den Namen Goldfuß, 3545 Dollar in bar, eine Schiffspassage nach Europa auf den Namen Collins, gebucht für den 1. Juli 1957, und einen starken Kurzwellensender des Typs »Hallicrafter«, der völlig offen zwischen zwei Gemälden stand.
Die Männer des FBI halfen Mr. Goldfuß beim Packen eines kleinen Koffers. Dabei beobachtete Thomas, daß Mr. Goldfuß ein paar offensichtlich benutzte Papiertaschentücher fortwarf. Thomas nahm die zusammengeknüllten Tücher wieder aus dem Papierkorb. Leichenblaß wurde plötzlich Mr. Goldfuß. Thomas Lieven öffnete die Taschentücher behutsam. Kleine dunkle Punkte, unscheinbar wie Fliegendreck, befanden sich darauf.
»Hm«, machte Thomas. Zwanzig Jahre lang von Geheimdiensten der verschiedensten Länder sowohl ausgebildet wie am Leben bedroht, hatten ihn hellwach werden lassen. Das war kein Fliegendreck …
Zwei Tage später hatte Amerika eine Sensation. Der gefährlichste russische Agent aller Zeiten war dingfest gemacht worden. Mikrofilme, die er in alten Papiertaschentüchern versteckt hatte, verrieten seinen komplizierten Code-Schlüssel, seinen wahren Namen, seine wahre Geschichte.
Oberst im sowjetischen Geheimdienst war dieser Mann, der zehn Jahre lang ungestört und unbeargwöhnt in den Staaten hatte spionieren können. Und er hieß: Rudolf Iwanowitsch Abel.
Am Abend des 23. Juni 1957 tickten Fernschreiber die Meldung über seine Verhaftung und Bedeutung an Zeitungsredaktionen auf fünf Kontinenten und in alle Welt hinaus. Und auch in den folgenden Tagen und Wochen machten die Taten des Oberst Rudolf Iwanowitsch Abel Schlagzeilen. Viel über ihn erfuhr die Welt, jedoch bei weitem nicht alles. Zum Beispiel erfuhr sie niemals etwas von jenem Mittagessen, zu welchem sich ein heiterer Herr und zwei ernste Herren niedersetzten. Das war am 17. August 1957 in einem gemütlichen Blockhaus auf den idyllischen, bewaldeten Hängen des US -Staates Maryland …
»Meine Herren«, sprach Thomas Lieven heiter, »warum sind Sie so ernst?« Er sah Edgar Hoover an, den Chef der amerikanischen Bundeskriminalpolizei. Er sah den braungebrannten, 40jährigen James B. Donovan an, dessen Haar bereits völlig weiß leuchtete. Donovan war Verteidiger des Meisterspions
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