Es muß nicht immer Kaviar sein
daß er in Gefahr ist. Er wird versuchen, Amerika zu verlassen und nach Rußland heimzukehren. Jeder Mensch, der nach Europa fährt, muß sich gegen verschiedene Krankheiten impfen lassen. Das verlangt das Gesetz. Und bei der Impfung muß er dem Arzt seinen Geburtsschein vorlegen, damit er die Nummer notiert …« Thomas stotterte plötzlich vor Aufregung: »Den Geburtsschein, nicht den Paß … Sein falscher Paß ist ein echter falscher Paß – aber ob sein falscher Geburtsschein auch echt falsch ist?«
Pamela wurde blaß: »Er ist verrückt geworden – ganz und gar verrückt.«
»Mitnichten! Wenn Goldfuß nämlich – geb’s Gott – einen
falschen
falschen Geburtsschein vorgelegt hat, dann können wir ihm
endlich
eine strafbare Handlung vorwerfen – und ihn hochnehmen – und seine Wohnung durchsuchen …«
»Thomas!«
»Stör mich jetzt nicht. Wie viele Ärzte gibt es in New York?«
»Herrgott, was weiß denn ich? Mindestens zehntausend!«
»Egal«, sagte Thomas Lieven, während Pamela Faber ihn entgeistert anstarrte. Er schlug auf das Bett. »Und wenn alle Agenten des FBI eingesetzt werden müssen! Und wenn alle wirklich verrückt werden dabei! Wir müssen es versuchen!«
10
Am Abend des 19. Juni 1957 gab es im Stadtgebiet von New York Alarm für 277 Mitarbeiter des FBI . Sie erhielten den Auftrag, schnellstens die insgesamt 13 810 Ärzte aufzusuchen, die in der Zehnmillionenstadt arbeiteten.
Jeder der 277 Mitarbeiter führte die Fotografie eines Mannes von etwa 45 Jahren mit sich, der ein geistreiches, skeptisches Gesicht, große Ohren und schmale Lippen besaß und eine Brille trug.
Vom Abend des 19. Juni 1957 an stellten 277 Männer anhand von 277 Fotos ungezählte Male die gleichen Fragen: »Doktor, kennen Sie diesen Mann? Gehört er zu Ihren Patienten? Haben Sie ihn vielleicht in letzter Zeit geimpft?«
Auch den ganzen 20. Juni 1957 hindurch wurden diese Fragen gestellt.
Im Luxushotel »Waldorf-Astoria« saß derweilen ein gewisser Peter Scheuner, deutscher Exportkaufmann, wie auf Kohlen. Von Zeit zu Zeit klingelte das Telefon. Es waren Leute vom FBI , die Thomas verschlüsselt mitteilten, daß die Operation weiterhin erfolglos verlief. Seufzend legte Thomas jedesmal wieder den Hörer in die Gabel.
Dieser Zustand änderte sich schlagartig am 21. Juni um 16 Uhr 35. Wieder schrillte das Telefon. Eine tiefe Stimme sprach: »Zero.«
Elektrisiert fuhr Thomas hoch. Er sagte nur ein Wort: »Wo?«
Die Stimme antwortete: »3145 Riverside Drive. Doktor Willcox.« Zwanzig Minuten später stand Thomas Lieven in dem kleinen Ordinationsraum von Dr. Ted Willcox, einem älteren Arzt, der seine Praxis im ärmsten Elendsviertel New Yorks aufgeschlagen hatte.
Dr. Willcox hielt eine Fotografie in der Hand. Er sagte: »Gewiß erinnere ich mich an diesen Mann. Vor allem deshalb, weil so selten gut angezogene Leute zu mir kommen.«
Da hast du also zuletzt doch noch einen Fehler gemacht, du sowjetischer Superagent, dachte Thomas. Möglichst weit von deiner Wohnung entfernt hast du dir einen Arzt ausgesucht. Ich verstehe, warum. Und doch war es verkehrt. Dr. Willcox sprach: »Dieser Herr suchte mich am Nachmittag des 16. Juni auf. Er ließ sich impfen. Ich stellte ihm einen sogenannten ›Internationalen Seuchenpaß‹ aus, wie man ihn benötigt, wenn man beispielsweise nach Europa reisen will.« Der alte Arzt humpelte zu seiner Kartei und suchte unter dem Datum des 16. Juni. Dann zog er ein Blatt hervor. »Der Herr heißt Martin Collins. Nach dem Geburtsschein wurde er am 7. Juli 1910 als amerikanischer Bürger im Stadtteil Manhattan geboren. Geburtsscheinnummer: 32027/7/71 897.«
Um 17 Uhr 15 zwangen Thomas Lieven und ein stämmiger FBI -Agent zwei Beamte, im Geburtenregisteramt von Manhattan Überstunden zu machen. Nach einer langen Weile kam einer der beiden angeschlurft, blies den Staub von einer vergilbten Registerkarte und knurrte: »Martin Collins … Collins, Martin – was ist das für ein Quatsch? 32 027, Strich, 7, Strich, 71 897, sagen Sie?«
»Sage ich, ja«, sagte Thomas.
Der Beamte sah auf: »Also hören Sie mal zu, mein Herr. Der Geburtsschein 32 027, Strich, 7, Strich, 71 897 wurde am 4. Januar 1898 für eine gewisse Emilie Woermann ausgestellt. Und die ist am 6. Januar 1902 im Alter von vier Jahren gestorben. An Lungenentzündung.« Thomas sah den FBI -Mann an. Er sagte leise: »Jetzt haben wir unsern Freund.«
11
An der Tür war eine Messingplatte festgeschraubt.
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