Es muß nicht immer Kaviar sein
die Bettkante. »Aber gibt es einen Weg?«
»Klar gibt es einen Weg. Wir müssen uns eben ein bißchen anstrengen. Du sagst, du hast Fälschen gelernt?«
»Und wie!«
»Hm. Eine Druckerei haben wir im Keller. Die stellt alle Vordrucke für die Gerichte her. Den richtigen Stempel werden wir auftreiben. Tja, es hängt alles nur von dir ab, Kleiner.«
»Von mir? Wieso?«
»Du wirst dich verändern müssen.«
»In welcher Richtung?«
Lazarus lächelte melancholisch. »In meine Richtung. Du mußt kleiner werden. Du mußt hinken. Du mußt einen Buckel kriegen. Du mußt Hamsterbacken kriegen. Mit dem Mund mußt du zucken. Und natürlich mußt du einen völlig kahlen Schädel haben. Habe ich dich erschreckt, Kleiner?«
»Ga-gar nicht«, log Thomas Lieven tapfer. »Was tu-tut man nicht alles für seine Freiheit!«
»Sie ist des Lebens höchstes Gut«, erklärte Lazarus. »Nun hör mal genau zu, was ich dir erzähle.«
Er erzählte.
Und Thomas Lieven hörte genau zu.
»Man kommt natürlich immer leichter ins Gefängnis rein als raus«, sagte der bucklige Lazarus Alcoba. »Aber
so
schwer ist es auch nicht, wieder rauszukommen!«
»Das freut mich aber!«
»Es ist ein Glück, daß wir in Portugal und nicht in deinem Vaterland sitzen. Bei dir daheim ginge der Trick nicht, da ist alles gut geordnet.«
»So, so. Deutsche Gefängnisse sind die besten der Welt, was?«
»Ich war doch selbst zweimal in Moabit!« Lazarus schlug sich aufs Knie. »Ich sage dir, da können die Portugiesen einfach nicht mit! Sie sind viel zu gemütlich; es fehlt der preußische Pflichterfüllungsgeist, die deutsche Disziplin!«
»Ja, das stimmt.«
Der Bucklige klopfte an die Zellentür. Sogleich erschien der freundliche, von Thomas überreichlich gespickte Wärter Juliao – wie der Etagenkellner in einem guten Hotel.
»Ruf mal den Koch herauf, mein Alter«, sagte Lazarus zu ihm. Juliao verschwand mit Verneigungen. Lazarus meinte zu Thomas: »Mit der Küche fängt deine Flucht nämlich an …«
Etwas später sagte der Bucklige zu Francesco, dem fetten Koch: »Hör mal zu, wir haben doch unten im Keller eine Druckerei, nicht wahr?«
»Ja. Sie druckt alles, was die Justiz an Formularen braucht.«
»Auch Entlassungsbefehle der Staatsanwaltschaft?«
»Sicherlich.«
»Kennst du einen von den Häftlingen, die da unten drucken?«
»Nein, warum?«
»Wir brauchen so einen Entlassungsbefehl.«
»Ich kann ja mal rumhören«, sagte der Koch.
»Na, dann hör mal rum«, sagte jetzt Thomas Lieven. »Für den Betreffenden, der uns den kleinen Gefallen tut, ist eine Woche gutes Essen drin.«
Zwei Tage später meldete sich der Koch: »Da wäre einer, aber der will einen ganzen Monat gutes Fressen dafür.«
»Kommt nicht in Frage«, sagte Lazarus kalt. »Zwei Wochen. Mehr nicht.«
»Muß ich erst fragen«, sagte der Koch.
Als er verschwunden war, sagte Thomas zu dem Buckligen: »Sei doch nicht so geizig! Es ist schließlich
mein
Geld.«
»Prinzipsache«, erwiderte der Bucklige. »Du darfst nicht die Preise verderben. Im übrigen: Es stimmt doch hoffentlich, was du mir erzählt hast, daß du einen Stempel fälschen kannst?«
»Den Stempel, den ich nicht fälschen kann, gibt’s nicht. Ich bin beim besten Fälscher des Landes in die Lehre gegangen«, erwiderte Thomas und dachte: Ungeheuerlich, wie tief ein Mensch sinken kann – ich bin sogar noch stolz darauf!
Am nächsten Tag kam der Koch und meldete, der Drucker wäre einverstanden.
»Wo ist der Vordruck?«
»Der Drucker sagt, er will erst die zwei Wochen lang das Fressen.«
»Vertrauen gegen Vertrauen«, knurrte Lazarus. »Entweder wir kriegen das Formular sofort, oder er soll das Geschäft vergessen.«
Eine Stunde später hatten sie den Vordruck.
Seit seiner Einlieferung meldete Lazarus sich täglich beim Hauptwachtmeister des Gefängnisses zur Führung der Rapportbücher und zur Erledigung des Geschäftsverkehrs. Täglich tippte er Dutzende von Briefen auf der Schreibmaschine. Der Hauptwachtmeister las seine Zeitung und kümmerte sich nicht weiter um ihn. In aller Ruhe konnte der Bucklige also einen Entlassungsbefehl für sich selber ausfüllen. Er tippte seinen Namen, seine Personaldaten und die Nummer seines Aktes. Als Datum setzte er den 15. November 1940 ein, obwohl man erst den 8. November schrieb. Eine gute Woche brauchten Lazarus und Thomas noch für das, was sie vorhatten. Einen Tag würde außerdem der Brief für den Instanzenweg im Gefängnis brauchen. – Thomas konnte
Weitere Kostenlose Bücher