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Es muß nicht immer Kaviar sein

Es muß nicht immer Kaviar sein

Titel: Es muß nicht immer Kaviar sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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also, wenn alles gutging, am 16. November entlassen werden. Der 16. war ein Samstag, und am Samstag hatte der freundliche Wärter Juliao immer seinen freien Tag, und … Aber wir müssen der Reihe nach erzählen!
    Den Entlassungsbefehl zierte Lazarus zuletzt noch mit der Unterschrift des Oberstaatsanwalts, welche er an Hand eines Briefes, der im Büro angeheftet war, leicht kopieren konnte.
    In die Zelle zurückgekehrt, sagte er zu Thomas: »Warst du auch fleißig?«
    »Ich habe den ganzen Nachmittag geübt.«
    Es war besprochen, daß sich Thomas an Stelle von Lazarus melden sollte, sobald der gefälschte Entlassungsbefehl die Gefängniskanzlei erreichte und der »Häftling Alcoba« aufgerufen wurde. Dazu war es nötig, daß Thomas sich äußerlich soweit wie irgend möglich in diesen verwandelte – eine schwere Aufgabe, wenn man bedenkt, daß Lazarus Alcoba einen Buckel und fast keine Haare mehr auf dem Schädel hatte, daß er Hamsterbacken besaß, kleiner als Thomas war und an einem nervösen Mundzucken litt. Der Bucklige bestand deshalb darauf, daß Thomas täglich übte …
    Thomas stopfte sich nun Brotkugeln zwischen Wangen und Zahnfleisch, wodurch er tatsächlich Hamsterbacken bekam. Dann begann er, nervös mit dem Mund zu zucken. Behindert durch das Brot, versuchte er, die Stimme des Buckligen nachzuahmen.
    »Nicht so nuscheln, Kleiner! Und was ist denn das für ein Zucken? Du zuckst ja viel zu weit oben!« Lazarus griff sich an den Mund. »Hier unten zucke ich! Tiefer, Junge, tiefer!«
    »Tiefer geht’s nicht!« Thomas zuckte, was er konnte. »Die verfluchten Brotkugeln stören!«
    »Ohne Brot keine Hamsterbacken! Gib dir nur Mühe, es geht schon tiefer!« Thomas wischte sich den Schweiß von der Stirn.
    »Das ist aber auch ein Pech mit deinem Maul.«
    »Kann nicht jeder so schön sein wie du. Das ist überhaupt erst der Anfang! Warte mal, bis ich dir die Haare absenge.«
    »Absenge?«
    »Klar! Glaubst du, die geben uns hier Rasiermesser und Schere?«
    »Das halte ich nie durch«, stöhnte Thomas.
    »Quatsch nicht, übe lieber. Mach dich kleiner. Zieh meinen Mantel an, damit du siehst, wie weit du die Knie einknicken mußt. Nimm das Kissen. Mach einen anständigen Buckel damit! Und stör mich nicht, ich muß jetzt mal im Hause rumfragen.«
    »Wonach?«
    »Wer einen Brief vom Oberstaatsanwalt besitzt. Mit einem Stempel darauf. Damit du ihn nachmachen kannst.«
    Während Thomas Lieven den alten Mantel des Buckligen anzog und mit eingeknickten Knien durch die Zelle humpelte, begann Lazarus mit einem Schuh an eine Wand zu klopfen. Er wendete dabei das einfachste aller Klopfalphabete an: a = dreimal, b = zweimal, c = einmal, sodann: d = sechsmal, e = fünfmal, f = viermal, sodann: g = neunmal, h = achtmal, i = siebenmal. Und so weiter.
    Lazarus klopfte seine Anfrage hinaus, dann wartete er auf Antwort und sah Thomas zu, der zuckte, nuschelte und das Gehen mit eingeknickten Knien übte.
    Nach einer Stunde begann der Zellennachbar zu klopfen. Lazarus lauschte und nickte.
    Dann sagte er: »Im dritten Stock sitzt ein Häftling namens Maravilha. Der hat sich den Ablehnungsbescheid der Oberstaatsanwaltschaft auf seinen Antrag auf Haftentlassung aufgehoben. Zum Andenken. Da ist ein Stempel drauf.«
    »Na also. Biete ihm eine Woche gutes Essen dafür«, nuschelte Thomas, heftig mit dem Mund zuckend.
    7
    Der November des Jahres 1940 war sehr warm. Man konnte noch im Atlantik schwimmen oder am Strand von Estoril in der Sonne liegen – nach den portugiesischen Vorschriften allerdings nur außerordentlich sittsam bekleidet. Bei den Herren verlangte die Polizei einen kompletten Badeanzug, und bei den Damen waren die Behörden noch strenger.
    Am 9. November gegen zwölf Uhr mittags mietete ein säuerlich blickender Herr mit Säbelbeinen bei einem Bootsverleiher am Strand eine sogenannte »Gaivola«, einen altmodischen Wassertreter, der aus zwei Holzkufen, einer Art Liegestuhl mit Pedalen dazwischen, und einem Schaufelrad bestand. Sodann radelte er mit eigener Kraft aufs offene Meer hinaus.
    Der Herr von etwa fünfzig Jahren trug einen braunen Badeanzug und einen Strohhut. Nach einer Viertelstunde Fahrt sichtete er eine zweite »Gaivola«, die weit draußen mutterseelenallein im milden Seegang des Atlantiks schaukelte. Auf sie hielt er nun Kurs. Nach einer weiteren Viertelstunde war er nahe genug herangekommen, um den Herrn im Stuhl des zweiten Wassertreters zu erkennen, der aussah wie ein naher Verwandter von

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