Es soll Liebe sein: Roman (German Edition)
kostbaren Glockenblumen-Quilts für würdig erachtete. Er lag schon viele, viele Jahre über der kleinen Chaiselongue in ihrem Schlafzimmer. »Das ist zu viel. Es wird den Jungen nicht gefallen, wenn du ihn weggibst.«
»Ruth hat mich einmal danach gefragt, als du klein warst«, erzählte Phoebe. »Sie liebte die Geschichte ebenso sehr wie du. Das habe ich nie vergessen.«
Ich war neugierig. Die Geschichte des Glockenblumen-Quilts war einfach die, dass Phoebes Mutter ihn genäht hatte, als sie mit ihrem einzigen Kind schwanger war. Sie hatte bereits zwei Babys verloren, und ihr Arzt hatte ihr Ruhe verordnet. Sie hatte neun Monate lang alle ihre Hoffnungen in den Quilt eingenäht, bis sich Phoebe beim Sticken der letzten kleinen Glockenblume ankündigte. Warum hatte meine Mutter diese Geschichte »geliebt«? Ich spürte, dass zwischen Phoebe und ihr etwas geschehen war, aber Phoebe blieb auf gelassene Art unergründlich. Es hatte keinen Zweck, Fragen zu stellen. Phoebe hatte eine Entscheidung getroffen, und es stand mir nicht zu, die Gründe anzuzweifeln. Ich holte ihr den Quilt. Sie hielt ihn auf dem Schoß und strich nachdenklich darüber.
Ihre Mutter hatte ihn voller Hoffnungen für ihr Kind genäht, und nun starb dieses Kind. Ich bekam eine vage Ahnung von der Tragödie menschlicher Liebe. Wohin war sie entschwunden? War Liebe ein Vorgeschmack auf die nächste Welt, oder blieb sie nur als Erinnerung, wie Lavendelduft in einer Schublade?
Ich folgte Phoebes geschickter Anleitung zum Zusammenlegen des Quilts. Sie entschuldigte sich mehrmals dafür, dass sie mich so hart arbeiten ließe.
»Ich weiß, ich bin eine Sklaventreiberin, aber es ist so fru-s-trierend, wenn du weißt, wie Dinge getan werden sollten.«
Sie bat um das Telefon, da sie mir nicht zutraute, Ruth selbst anzurufen, und es wurde alles geregelt.
Drei Stunden später war ich auf der Autobahn, den Glockenblumen-Quilt auf dem Beifahrersitz.
Die Fahrt zum Wohnort meiner Mutter machte mich niedergeschlagen. Ich fuhr an Reihen moderner Bungalows und Promenaden mit billigen Mietläden vorbei. Der Himmel war ein bleiernes Tuch. Regentropfen befleckten die Windschutzscheibe. Ein Streifen graues Meer wurde zwischen nassen, grauen Dächern sichtbar, verschwand zum grauen Horizont. Es gab nur wenige tödlichere Dinge, dachte ich, als einen britischen Erholungsort, der seit 1930 nicht mehr gefragt war. Gebeugte Gestalten kämpften auf der Hauptstraße gegen den heulenden Sturm an. Die Fenster des Rathauses aus roten Ziegelsteinen waren mit Brettern vernagelt, und ein »Zu verkaufen«-Schild verrottete an der Eingangstür. Schmutzige Plakate, die auf eine Weihnachts-Veranstaltung im letzten Jahr hinwiesen, hingen noch an düsteren Mauern. Im Schaufenster des einzigen Bekleidungsgeschäfts waren, an Schaufensterpuppen mit schiefen Perücken, erstaunlich scheuß-liche, altmodische Kleider ausgestellt.
Was für ein Kaff, dachte ich.
Ich folgte einem verbeulten Schild mit der Aufschrift »Esplanade« und lenkte meinen Wagen durch enge Straßen vorsichtig zu einer kleinen Bucht. Eine einzelne Reihe Strandgeschäfte und Pommes-frites-Buden standen einem düsteren Meer gegenüber. Als einzige Lebenszeichen sah ich die Gestalten eines alten Mannes und seines Hundes, die sich an der Vergnügungsarkade entlangmühten. Wie, um alles in der Welt, sollte ich ein ganzes Wochenende an diesem umnachteten Ort überstehen? Warum hatte Phoebe geglaubt, es würde meinem gebrochenen Herzen helfen, hier zu sein?
Jenseits der Geschäfte befand sich eine auseinander gezogene Reihe Häuser, die sich den Hügel bis zur Klippe hinaufzogen. Ich versuchte (und scheiterte daran), mir diese bei Sonne vorzustellen, mit sandigen Handtüchern und feuchten Badeanzügen über hölzernen Geländern. Ruth lebte irgendwo hier, und ich achtete besorgt auf die Hausnummern (bitte, Gott, lass es nicht dasjenige mit den scheußlichen Netzvorhängen sein). Es war schwierig, weil die meisten der Häuser auch Namen aufwiesen – »Seebrise«, »Meeresgischt« und anderes, was nach Lufterfrischern klang.
Ganz am Ende der Esplanade, neben einem Parkplatz oben auf der Klippe, thronte eine Reihe Natursteinhäuser.
Und da war meine Mutter, stand auf der Straße, die Arme um sich geschlungen, ihr glattes graues Haar im Winde flatternd. Ich war überrascht – vermutlich weil ich erwartet hatte, dass sie das steife, altmodische kastanienbraune Kostüm trüge, das sie immer in der Arbeit getragen hatte.
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