Es soll Liebe sein: Roman (German Edition)
Ich musste mir in Erinnerung rufen, dass sie nicht mehr arbeitete. Die Ruth im Ruhestand wirkte vollkommen gestaltlos, in Herrenzwirn und einer dicken grauen Strickjacke. Sie sah, was seltsam genug war, hübsch aus und lächelte.
Ich erwiderte ihr Lächeln. Es war eines jener entschlossenen Lächeln, die operativ entfernt werden müssten, und es verzerrte mein Gesicht auch weiterhin, während ich einparkte.
»So!«, sagte ich.
Ruths Gesicht war brauner und wies mehr Falten auf, als ich es in Erinnerung hatte. Sie stand steif da, während ich sie auf die Wange küsste (es war so, als würde man einen Totempfahl küssen). »Komm herein.« Sie nahm mir das große, weiche Paket aus den Armen.
»Das ist von Phoebe«, sagte ich. »Ein Einzugsgeschenk.«
»Noch eines? Sie hat mir schon beim Einzug eines geschickt. Eine Salatschüssel.«
»Vielleicht hatte sie das vergessen«, sagte ich.
Ruths glänzende, korinthendunkle Augen (genau wie meine) verengten sich nachdenklich. »Wie geht es ihr?«
»Eigentlich recht gut.«
»Ich meine, wie geht es ihr wirklich?«
Mein Lächeln verblasste. »Es kann jetzt nicht mehr lange dauern. Monate, wenn wir Glück haben.«
Ruth nickte. »Danke. Ich werde nicht mehr danach fragen.«
Ich merkte, dass ich das zu schätzen wusste. Vielleicht brauchte ich gar nicht dauernd so unabänderlich höflich zu sein. Ich folgte meiner biologischen Mutter ins Haus. Es war warm und verblüffend ruhig, nachdem die Haustür den Wind ausgeschlossen hatte.
Und es war wirklich eher hübsch. Ruth hatte sich erstaunlicherweise eine Umgebung geschaffen, die nicht übertrieben ordentlich und niederdrückend war. Die schwere, hölzerne Eingangstür des Hauses öffnete sich unmittelbar in ein kleines, weiß gestrichenes Wohnzimmer. Dort standen Sessel, und ein bescheidenes Kohlenfeuer brannte im Kamin. Ruth hatte die Aquarelle aus ihrem Büro hierher verbracht, die hier weitaus weniger düster wirkten. Sie hatte einige Gemälde hinzugefügt, die ich noch nicht kannte. Leuchtende Ölgemälde von Schiffen und Klippen. Die dicken, alten Mauern dämpften das ständige Dröhnen des Meeres. Ich fühle mich an Orten, wo ich das Meer hören kann, stets beruhigt.
»Das ist hübsch«, sagte ich. »Gütiger Himmel, du hast Möbel gekauft!«
Ruth lächelte, weniger verbissen als üblich. »O ja. Ich habe mich auf meine alten Tage noch auf Innendesign verlegt. Ich habe nicht viel aus der alten Wohnung mitgenommen – es war alles ziemlich ramponiert.«
»Du hast auch neue Bilder gekauft.«
»Hmmm.« Ruth sah mich einen Moment vorsichtig an. »Es waren Geschenke. Von dem Künstler. Sein Name ist George Denny.«
»Oh.«
»Du wirst ihn später kennen lernen. Er kommt meist abends vorbei.«
Ich quiekte: »Oh« und konnte meinen Ohren kaum glauben. Wollte Ruth mir erzählen, dass sie einen Verehrer hatte, nach all diesen leeren und niedergeschlagenen Jahren? Und wenn dem so war – wie fühlte ich mich dabei?
Fasziniert. Auf sehr gute Art. »Ich freue mich darauf«, erwiderte ich. »Seine Bilder wirken hier großartig.«
»Es ist das erste Mal, dass ich eine Wohnung nur für mich alleine eingerichtet habe«, sagte Ruth. »Dein Vater hat das Haus in Hampstead eingerichtet. Und die Wohnung in Gospel Oak war für mich immer ein Symbol des Elends. Es war sehr heilsam, neu anzufangen.«
»Es ist gemütlich. Ich hätte niemals gedacht, dass du eine Wohnung gemütlich einrichten könntest.«
Ruth sagte: »Setz dich.«
Es war Abend. Ich beobachtete, wie sie die Lampen einschaltete und die Vorhänge vor die sich verdunkelnden Fenster zog. Wir tranken am Kamin Tee. Mein Atem glich sich dem Rhythmus des Meeres an, und ich fühlte mich zum ersten Mal seit Gott weiß wie langer Zeit wirklich ruhig. Die Details meines Lebens schienen noch immer entsetzlich, aber sie waren zumindest ferner. Der Tee vertrieb die letzten Reste des Katers. Ich erkannte allmählich, dass Phoebe Recht gehabt hatte. Dies war ein ebenso guter Ort wie jeder andere, um ein gebrochenes Herz zu pflegen.
Ich erzählte Ruth die ganze Geschichte mit Matthew. Ich tat dies emotionslos und, als Reaktion auf ihre Nüchternheit, bewusst nüchtern.
»Du wolltest ihn heiraten«, sagte Ruth.
»Ja. Ich wollte mein Leben mit ihm teilen. Aber ich begreife jetzt, dass es nicht funktioniert hat.«
»Offensichtlich nicht.«
Man musste sich bei Ruth sehr klar ausdrücken, sonst nahm sie einen im Handumdrehen auseinander. »Ich meine, ich verstehe jetzt, dass die
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