Es sterben immer drei
an dem mindestenszwölf Stühle Platz gefunden hätten, an dem sich aber nur vier verschiedene, die aussahen wie aus dem Sperrmüll geklaubt, verloren, nahm fast die Hälfte des Raumes ein. Auf ihm stapelten sich, wie auch auf dem Couchtisch und an den Wänden, an denen keine Gemälde lehnten, die Bücher. Ein paar Regale würden hier schon mal für eine gewisse Grundordnung sorgen, dachte Stella und schimpfte sich gleich innerlich für ihren kleinkarierten Aufräumimpuls. Künstler brauchten kreatives Chaos, das inspirierte sie, obwohl der Verdacht, sie könnten einfach zu faul fürs Ordnunghalten sein, etwas Verführerisches hatte. Malutensilien waren nur wenige zu sehen, trotz des intensiven Terpentingeruchs. Am Fenster stand eine Staffelei, daneben ein Beistelltisch, auf dem aus sorgfältig von den Etiketten befreiten Einmachgläsern Pinsel in relativ kleinen Größen herausragten wie Blütenstängel. An einem Haken hingen vier altmodische Paletten in ovaler Form, mit dem Loch für den Daumen. Ebenfalls mit Gebrauchsspuren, aber penibel geputzt. Bei ihrem Arbeitszeug legte Katharina Wert auf Ordnung. Schade, dass alle Gemälde umgedreht waren, auch das auf der Staffelei. An den Wänden hing nichts. Sie waren weiß verputzt und kahl.
»Man sieht leider nicht, was Sie malen«, sagte Stella.
Katharina nahm einen Schluck Milchkaffee. »Habe ich gestern alles weggeräumt. Ich bin nicht gut, wenn ich abgelenkt bin. Wollen Sie sehen, was das Letzte war, woran ich gearbeitet habe?« Ohne die Antwort abzuwarten stand sie auf und drehte das Bild auf der Staffelei um. Stella erkannte Valerie sofort. Ein Porträt. Noch unfertig, aber das Gesicht schon gut zu erkennen. Ein realistisches Porträt und dann doch wieder nicht. Katharina hatte alles, was Valerie ausmachte, wie ein Karikaturist übertrieben, aber ohne sie zu verunstalten oder sich lustig über sie zu machen. Sie sah nervöser, zickiger, feingliedriger und unverschämter aus, als Stella sie in Erinnerung hatte, und trotzdem war es eindeutig Valerie. Eine Sonnenbrille versperrte den Blick in ihre Augen, die Haare waren streng zurückgebunden, aberein paar vorwitzige Strähnchen umzüngelten ihr Gesicht wie Flämmchen. Valerie hatte ihre Naturwelle gehasst und jeden Morgen versucht, sie glatt zu föhnen, obwohl das leicht Verstrubbelte gut zu ihrem Charakter passte. Sie sah auf dem Gemälde sehr modern aus, cool, trotz der altmeisterlichen Malweise. Der gemusterte Seidenschal um ihren Hals changierte in sanften Türkistönen. Katharina malte wie eine Kurzsichtige, detailbesessen und sorgfältig. Aber das Ergebnis stimmte. »Toll«, lobte Stella beeindruckt und war froh, dass sie nicht ihr übliches Wort für ein Verlegenheitskompliment bemühen musste: interessant.
»Ja. Sie ist mir gelungen.« Katharina hielt nichts von falscher Bescheidenheit. »Ich male in Ei-Tempera, wie Leonardo da Vinci«, erklärte sie. »Selbst angerührt.«
»Und jetzt können Sie sich nicht mehr konzentrieren?«
»Richtig.« Katharina verließ ihren Arbeitssessel, klapste dem Hund aufs Hinterteil, damit er ein bisschen Platz machte, setzte sich neben ihn aufs Sofa und kraulte ihn mit beiden Händen hinter den Ohren. »Ich male aus der Erinnerung, aber die muss gefüttert werden. Valerie brauchte mir nicht Modell zu sitzen, aber sie kam, solange ich an ihrem Porträt arbeitete, jeden Tag zum Kaffeetrinken vorbei. Wir plauderten. Ich betrachtete sie, fotografierte sie ein bisschen und dann ging sie wieder.«
»Hat es Ihnen nichts ausgemacht, die Freundin ihres Mannes zu porträtieren?«
»Nein, es hat mir nichts ausgemacht.« Die Antwort kam schnell und spontan, aber bestimmt. »Ich habe auch andere Freundinnen von Jochen gemalt.« Sie machte eine kleine Pause. »Und die von Karl auch.« Noch eine kleine Pause. »Aber wollen wir nicht zum Du übergehen?«
»Gern.«
»Wir haben schließlich ähnliche Interessen, oder nicht?«
Jetzt wurde Stella vorsichtig. »Und die wären?«
»Nun, wir würden doch beide wahnsinnig gerne wissen, wer Valerie umgebracht hat.«
»Hast du eine Idee?«
»Ich? Aber nicht im Geringsten.«
Stella erinnerte sich, wie Valerie ihr auf einer Premierenfeier Jochen Wilke stolz als »mein Mann« vorgestellt hatte. Er hatte nicht protestiert, sondern Stellas Hand geschüttelt, brav Hallo gesagt und sich irgendeinem Aufsichtsratsvorsitzenden zugewandt, der gerade vorbeikam. Nichts deutete darauf hin, dass er Stella wiedererkannte, obwohl sie nur ein Jahr zuvor
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