Es sterben immer drei
horchend an der Treppe stehen. Ziemlich sicher niemand da. Trotzdem blieb ihr fast das Herz stehen, als Derrida tapsend zu ihr aufschloss. Sie hatte doch glatt den Hund vergessen. Er schaute sie schwanzwedelnd aus einem lebendigen und einem toten Auge an, eher, als sei dies der richtige Zeitpunkt für eine Salamischeibe, und weniger wie ein ambitionierter Wachhund. Sein Lappen lag schön durchgespeichelt auf dem Sofa. Vorsichtig ging sie zurück ins Atelier und kippte als Erstes die umgedrehten Gemälde etwas von der Wand weg. Ein Porträt von Jochen, eines von Karl. Sie erkannte beide sofort wieder, obwohl sie beide seit Jahren nicht mehr gesehen hatte. Das dritte Bildzeigte Katharina selbst, nackt, mit einem blassen dünnen Körper und ohne Haare. Stella konnte nicht erkennen, ob das Selbstporträt noch nicht fertig war und deswegen die Haare fehlten, oder ob sie sich mit Glatzkopf gemalt hatte. Sorgfältig, in ihrer peniblen, altmeisterlichen Malweise, die jedes Detail gnadenlos registriert und nichts beschönigt. Sie stand da mit bandagiertem Oberkörper, graziös das Spielbein an das Standbein gelehnt, Pfeile durchbohrten ihren knochigen Brustkorb, das Blut versickerte in den Bandagen. Der heilige Sebastian als Frau. Eine Aura von Traurigkeit und Einsamkeit umgab die gemalte Katharina viel stärker als die lebende. Stella fragte sich, was wohl die Wahrheit zeigte? Das Abbild oder die reale Person?
Als sie ein Geräusch hörte, drehte sie sich erschrocken um. Vielleicht war ja doch noch jemand hier. Aber es war wieder nur der Hund, der ihr aufmerksam folgte, so als vertraue er ihr nicht wirklich. Er ging auch die Treppe mit hoch in den ersten Stock. Die erste Tür führte in eine kleine Kammer, in der noch mehr Bücher herumlagen. Regale würden in Katharinas Haushalt eindeutig gute Dienste leisten. Auf einem kleinen Tisch schnurrte ein aufgeklappter Laptop. Mit einer Bewegung der Maus leuchtete der Bildschirm auf und gab preis, womit Katharina sich zuletzt beschäftigt hatte. Eine Google-Map, ähnlich der von Ottos Sekretärin, nur in einem etwas größeren Maßstab. Katharina hatte einen Weg markiert, von einer Stelle mitten im Wald zu ihrem eigenen Haus, und sich die Entfernung anzeigen lassen. 4,8 Kilometer. Kein Berggipfel, keine Quelle, keine Sehenswürdigkeit, nur ein namenloser Fleck zwischen Bäumen. Stella verglich die Karte auf dem Bildschirm mit ihrem Ausdruck und zeichnete nachdenklich den Weg nach: 4,8 Kilometer. Wozu wollte Katharina das wissen?
Das zweite Zimmer war unbewohnt. Schrank, unbezogenes Doppelbett und Kommode, offenbar das Gästezimmer. Hinter der dritten Tür verbarg sich das Badezimmer. Anders als im Rest des Hauses, legte die Hausherrin hier Wert auf Luxus undgönnte sich eine Wellness-Oase mit Kacheln in den gleichen Rosenbukett-Tönen, die sie auch bei ihrer Kleidung favorisierte. Ausdruck des sensiblen Gespürs einer Malerin für Farben. Auf einem Glasregal neben der Badewanne glitzerte und funkelte es wie in einer Drogerie. Eine ganze Batterie teurer Parfüms in aufwändigen Flakons ließ darauf schließen, dass Katharina ihre Selbstinszenierung bis in die feinste Duftnuance hinein komponierte wie ein Gemälde. Make-up dagegen fand Stella nicht, nicht mal Lippenstift oder Wimperntusche. Pinsel und Farben wurden in diesem Haushalt streng nur für Ölgemälde verwendet. Katharina verließ sich völlig zu Recht auf ihre natürliche Schönheit. Im Schlafzimmer war das Bett nicht gemacht. Auch hier hatte die Hausherrin ihrer Neigung zu Büchertürmen nachgegeben. Sie stapelten sich an der Wand entlang, ums Bett und auf dem Nachttisch. Alles durcheinander. Teure Bildbände, Krimis im Taschenbuch, Hardcoverausgaben von aktuellen Bestsellern in Deutsch und Englisch, Feministisches aus den 70er-Jahren und sogar Asterix-und-Obelix-Comics. Bücherstapel, die Katharinas Alter verrieten, ungefähr zumindest, wie Baumringe. Jedes Jahr mit seinen Neuerscheinungen, Bestsellern und Talentproben bildete eine Schicht, und da Katharina eine neugierige Leserin war, offen aber ohne leidenschaftliches Interesse an einem bestimmten Thema und anscheinend auch ohne Hobby, verrieten diese Bücher wenig über ihre Person oder über ihren Charakter. Sie blieb seltsam anonym, selbst in ihrem Schlafzimmer. Da gaben die Fotos an der Wand mehr Auskunft. Typische Familienfotos, soweit Stella das sah, Schnappschüsse, die meisten in Farbe, aber auch ein paar schwarz-weiße, liebevoll arrangiert und auf große
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