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Es sterben immer drei

Es sterben immer drei

Titel: Es sterben immer drei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosemarie Bus
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höflich für das Essen bedankte. Sich für befriedigenden Sex zu bedanken, gehörte, soweit sie wusste, in keinem westeuropäischen Land zu den Höflichkeitsstandards, also ließ sie es bleiben.
    »Nicht nötig«, sagte sie. »Ich nehme ein Taxi.« Sie brachte es nicht über sich, ihn zum Abschied zu küssen. Auch er machte keinen Versuch.

15
    Ein Taxi trieb Stella erst vor der Altstadt auf, nach einem Fußmarsch den Berg hinunter, währenddessen sie versuchte, das Chaos ihrer Gefühle und Gedanken zumindest in überschaubarere Bahnen zu lenken. Sie schlenderte mehr als dass sie zügig lief, wechselte die Seiten der kleinen Gassen nach Lust und Laune, je nachdem, ob eine der Auslagen in den Schaufenstern sie anzog oder eher nicht, und starrte auf Keramikteller, Holzintarsien und Schuhsortimente, ohne sie wahrzunehmen. Ihr Geist war ganz und gar nicht in Shoppinglaune, sondern taumelte von einem Gedanken zum nächsten. Was empfand Luca für Valerie, und warum hatte er sich mit Stella eingelassen? Suchte er sonderbaren Sex? Und warum ließ er sich dabei auch noch fotografieren? Andererseits, mal ehrlich, was war schon dabei? Ein Polizist war schließlich auch nur ein Kerl. Außerdem, was suchte sie selbst? Den Mann fürs Leben ausgerechnet in der tiefsten italienischen Provinz? Lächerlich. Und wie passte der Mord an Valerie in das Szenario? Clean head. Shot. Kill . Sniper-Slang. Was für Berufskiller. Oder einen GSG-9-Schützen, der, einen Terroristen imVisier, über Kopfhörer die Kommandos der Schaltzentrale befolgt. Vielleicht hatte ihre Intuition doch unrecht und Luis mit seiner Mafiatheorie verfolgte die heißere Spur, während sie sich einfach nur von einem Liebhaber zarter Seelen flachlegen ließ.
    Der Einzige, der am Taxistand fahrbereit in seinem Auto saß, war Afghane. Ein zierlicher älterer Mann in einem zerknitterten Billiganzug, der nach Plastik, Schweiß und Beedhis duftete. Aber nur ganz zart. Da Stella sich in Taxis immer nach vorn auf den Beifahrersitz setzte, wahrscheinlich wegen eines Kontrollwahns über ihr Schicksal, räumte er bereitwillig seine Pizzaschachtel, Coca-Cola-Dose und eine völlig zerfledderte ›New York Times‹ beiseite. Im Nachhinein bereute Stella regelmäßig ihr Beharren auf dem vorderen Platz, weil Taxifahrer dies immer als Aufforderung zu einer Unterhaltung missverstanden. So erfuhr sie auch diesmal in den ersten drei Minuten die Basisdaten eines emigrierten Talibangegners. Heimatstadt: Kabul; Alter: 52; Todesart der Ehefau: ermordet als hartnäckig auf Gleichberechtigung beharrende Direktorin einer Mädchenschule; eigener Beruf: Soziologieprofessor, an dessen Ausübung ihn aber EU-Richtlinien hinderten. Nach mehrmaligem Raten, Dänemark, Holland, Ungarn, hatte er auch ihr Heimatland herausgefunden und zitierte daraufhin erfreut Karl Marx auf Deutsch. »Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volkes.« Sein Spezialgebiet, weil zu seiner Zeit noch die Russen in Afghanistan die Karriereaussichten an den Universitäten beeinflussten. Er rekapitulierte in feinem Englisch den Lebenslauf von Marx und skizzierte kurz die Gründe, warum in der gegenwärtigen Weltwirtschaftskrise seine Einsichten und Überlegungen wieder an Bedeutung gewannen. »Die Klasse, welche die herrschende materielle Macht der Gesellschaft ist, ist zugleich die herrschende geistige Macht.« Dass Stella sich in seinen Monolog einmischte, erwartete er nicht. Seine Worte plätscherten an ihr vorbei wie ein langer ruhiger Fluss. Nusrat Fateh Ali Khanwiegte sie dazu aus dem Autoradio in Sicherheit, und die verwirrten Gedankenfetzen schwirrten schon viel weniger aufgeregt in ihrem Kopf herum, obwohl sie immer noch keinen Sinn ergaben. Impulsivität hatte Valerie ihr vorgeworfen, damals, zu einer Zeit, als sie noch miteinander in einem Bürozimmer saßen. Impulsivität. Als sei es eine Schande, eine Charakterschwäche, mit der Wahrheit herauszuplatzen, statt zu taktieren, zu intrigieren und zu manipulieren. Erst denken, dann handeln, hatte Valerie doziert, und der kühlen Zielstrebigkeit nach zu urteilen, mit der sie ihre Männer aufriss, versuchte sie sich selbst an ihre Maxime zu halten. Allerdings federte sie etwaiges Scheitern schon im Vorhinein mit dem Hinweis »Ich bin nicht gerade das beste Beispiel für meine eigenen Theorien« elegant wieder ab. Den hektischen Telefonaten zur Schadensbegrenzung

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