Es war einmal ein Mord: Ein Hänsel und Gretel-Krimi (German Edition)
als Schwermut aus. Und was war mit Johanna? Nach dem, was sie mitangehört hatte, war Gretel überzeugt, dass die beiden lange Zeit Liebende gewesen waren und ihre Trennung etwas mit Prinzessin Charlotte zu tun hatte. Doch auch in diesem Gespräch hatte sie keine Spur der Liebe oder auch nur der Wollust in Bezug auf die Königstochter erkannt. Es war beinahe, als sähe Roland in ihr eine Bürde. Nein, keine Bürde, eine Verpflichtung. Eine Notwendigkeit.
Das alles ergab keinen Sinn. Warum sollte es in irgendeiner Weise notwendig sein, eine Beziehung mit einer unerreichbaren jungen Frau einzugehen? Alles, was diese Liaison hervorbringen konnte, war noch mehr Ärger für die Hunds, möglicherweise den Unmut von König Julian. Und Gretel wusste jetzt nur zu gut, welche Gefahren der königliche Unmut heraufbeschwören konnte.
Hänsel kam mit ihrem Imbiss herein.
»Guter Gott«, sagte er. »Warum hast du dieses Ding auf dem Kopf?«
»Das ist ein Turban – wo soll ich den sonst tragen?«
»Findet bei den Gesternstadt-Laienschauspielern wieder ein Vorsprechen statt?«
»Nur ein Narr tritt nach einem hungrigen Bären«, warnte sie ihn. »Gib mir die Semmel.«
»Ich habe eine Extraportion Bratenfett draufgetan. Du hast ausgesehen, als könntest du es brauchen.« Hänsel machte essich in seinem Lieblingslehnsessel bequem. Die Geräusche fortschreitender Handwerksarbeit drangen aus dem Hausflur herein.
»Griesgrämiger Kerl, was?« Hänsel biss das Ende einer neuen Zigarre ab.
»Er hat Grund dazu.«
»Meinst du das Feuer?«
Gretel sprach beim Kauen. Der Geschmack des geräucherten Schinkens erinnerte sie daran, wie viele Stunden vergangen waren, seit sie zum letzten Mal gegessen hatte. »Ja, schon, teilweise. Aber nicht nur.«
»Hätte gedacht, das reicht. Geschäft in Trümmern. Leiche. Familie Hauptthema endloser Gerüchte und Spekulationen.«
»Tatsächlich?«
»Im Gasthaus auf jeden Fall.« Er hielt inne, um seine Zigarre zu entzünden, paffte für einen Moment gedankenverloren und sagte dann: »Der alte Hund kommt gar nicht mehr. Konnte das Geflüster in sämtlichen Ecken nicht mehr ertragen.«
»Haben die Leute denn kein Mitleid?«
»Eher nicht.«
»Aber er hat alles verloren – seine Werkstatt, seine Erwerbsquelle. Und das ist wohl kaum seine Schuld, nicht wahr?«
»Nicht?«
»Doch?«
»Vielleicht. Sagen manche. Möglich. Sagen manche.« Hänsel nickte langsam und krönte die Geste mit einem unbeholfenen, verschwörerischen Zwinkern.
Gretel seufzte.
»Hänsel, bitte. Ich habe in den letzten achtundvierzig Stunden nicht viel geschlafen, und mein Hirn tut weh von all den Versuchen, die Eigentümlichkeiten der menschlichen Natur zuergründen. Ich könnte gut darauf verzichten, nun auch noch das Durcheinander deiner Denkprozesse zu entwirren.«
»Also gut, dann eben geradeheraus.«
»Das wäre mir eine Freude.«
»Zwei Worte.« Er blies dicke Kringel in die Luft. »Das Erste lautet Brandstiftung, das zweite Versicherung.«
»Die Leute glauben, Hund hätte seine eigene Werkstatt in Brand gesteckt?«
»Das habe ich nicht gesagt.«
»Aber gedacht, nicht wahr? Alle denken das?«
»Alle, die im Gesternstädter Hof trinken, ja.«
Gretel schüttelte langsam den Kopf. »Aber warum sollte er das tun? Das Geschäft lief doch erfolgreich.«
»Wirklich?«
»Sein Hof stand voller Wagen. Jeder ist zu ihm gegangen, wenn er etwas repariert haben wollte oder einen neuen Wagen. Seine beiden Söhne haben für ihn gearbeitet. Ich kenne den Mann seit Jahren, und er ist in dieser Stadt wohlgelitten.«
»Auch im Gasthaus. Besonders am Kartentisch.«
»Was?«
»Er spielt gut Skat. Aber Poker war seine wahre Leidenschaft. Nur konnte er nicht bluffen, hatte keine Ahnung, wie das geht. Ein Pokerface war für Hund so exotisch wie … wie Preußen.«
»Hat er sich verraten?«
»Jedes Mal.«
»Ein bisschen unsportlich, jemandem Geld abzunehmen, der so offensichtlich nicht mithalten kann.«
»Seit wann ist Zocken sportlich? Außerdem hat Hund es geliebt. Die Aufregung an der Sache.«
»Obwohl er immer verloren hat?«
Hänsel zuckte mit den Schultern. »Hat seinem sonst ziemlich langweiligen Leben ein bisschen Würze gegeben, schätze ich.«
Gretel war sprachlos angesichts dieser Offenbarung. Sprachlos darüber, dass Hund ein geheimes Laster hatte. Sprachlos, welches neue Licht diese Information auf den Fall warf. Sprachlos über ihre eigene Dummheit, diese Möglichkeit nicht selbst in Erwägung gezogen
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