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Es war einmal eine Familie

Es war einmal eine Familie

Titel: Es war einmal eine Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lizzie Doron
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Grundschule und von der Grundschule ins Gymnasium, ich machte wieder Ausflüge mit den Pfadfindern, ich feierte die verschiedenen Feste und wurde schließlich zum Militärdienst einberufen.
    Aber diesmal verstand ich zum ersten Mal, daß Dorka wirklich schöne Beine gehabt hatte und Mirjam Lewinger große blaue Augen, daß Efraim, der Lebensmittelhändler, aufreizend männlich ausgesehen hatte und Ruben in seinem gestreiften Anzug und mit der Baskenmütze elegant, und daß Zila, Mattis Mutter, die Figur eines Fotomodells gehabt hatte.
    »Die Jahre, die vergangen sind, haben von den Menschen, die wir früher schon für halb tot gehalten haben, das Alter weggewischt«, sagte ich zu Chemda.
    »Die Jahre, die vergangen sind, haben vieles weggewischt«, antwortete sie ruhig und deutete auf ein Klassenfoto, von dem uns Roni, Dovele, Uri, Ascher, Malkale und andere Freunde entgegenlächelten.
    Chemda ließ kein Album aus, sie betrachtete interessiert auch die neuen Alben, neugierig auf meinen Mann und meine Kinder. Mit einem Lächeln bemerkte sie: »Sie sind blond.«
    Und dann erzählte sie mir von ihren Kindern, ihrem Mann und ihrer großen Liebe zur Fotografie.
    »Ich bin ohne Fotoalbum aufgewachsen«, erklärte sie, »mit einem einzigen Foto meines Großvaters und einem uralten Paßbild meiner Mutter, ich hinterlasse meinen Kindern Dutzende von Alben, ich höre nicht auf zu fotografieren, ich bin besessen davon.«
    Dann erzählte sie, daß sie ein Jahr lang in KrankenhäusernSterbende fotografiert hatte, Liebespaare in einem Altersheim in Brooklyn und schwarze Frauen in Harlem.
    »Mich hat sie auch fotografiert«, mischte sich Herr Pschigurski plötzlich in unser Gespräch und verlangte sichtlich stolz: »Erzähl ihr von dem Preis.«
    »Ich habe eine Collage aus Fotos von alten Menschen gemacht«, sagte Chemda mit einem entschuldigenden Lächeln. »Darauf sind alte Menschen aller Hautfarben zu sehen, alle möglichen Leute, und mein Vater steht mitten im Bild.«
    Herr Pschigurski lächelte glücklich und wandte sich wieder dem Buch in seiner Hand zu.
    Chemda wechselte das Thema. »Weißt du eigentlich, daß ich fast deine Schwester geworden wäre?«
    Noch bevor ich reagieren konnte, erzählte sie, daß sie Pola, die Lehrerin, in der dritten oder vierten Klasse gebeten habe, sie möge doch versuchen, Helena mit ihrem Vater zu verheiraten. »Ich habe es so sehr gehaßt, Halbwaise zu sein«, sagte sie. »Aber nach ein paar Tagen kam Pola zu mir und sagte, deine Mutter sei eine seltsame Frau, eine Frau, die geschworen habe, ihr Leben lang Witwe zu bleiben. Stimmt das?«
    »Es stimmt«, sagte ich und hatte nicht die Kraft, ihr das Ganze genau zu erklären.
    »Bis heute«, sagte Chemda, »suche ich eine Frau für ihn.«
    Herr Pschigurski, der ganz in sein Buch vertieft gewesen war, griff plötzlich nach seiner Tasche und seinem Stock und bat Chemda in entschiedenem Ton, ihn sofort zum Altersheim zurückzubringen, damit er das Mittagessen nicht verpasse, und, Gott behüte, das Verteilen der Medikamente.
    Bevor sie gingen, sagte er zu mir: »Von allen Frauen des Viertels hätte ich nur deine Mutter geheiratet. Eine intelligente Frau und so gebildet. Schade, daß sie so jung von uns gegangen ist.«
    »Ein großer Held«, sagte Chemda mit einem Lächeln. »Schonseit Jahren ist er bereit, jede Frau zu heiraten, die gestorben ist.« Ihre Stimme wurde traurig. »Sein ganzes Leben lang ist er meiner Mutter treu geblieben.« Sie wandte sich an ihn. »Vielleicht suchst du dir jetzt noch eine Frau?«
    »Mit deiner Mutter, das war nicht einfach nur Liebe«, antwortete er, dann nahm er mich am Arm und fügte aufgewühlt hinzu: »Ihr werdet es nie verstehen, meine Esterke und ich waren den ganzen Krieg lang zusammen.«

    Am ersten Tag des Gymnasiums kam der Mathematiklehrer in die Klasse. Ein großer, gutaussehender Mann mit warmen, gütigen Augen, einem herzlichen Lächeln und einem Hebräisch mit starkem polnischen Akzent. Am Anfang der Stunde las er aus dem Klassenbuch die Namen der Schüler vor. Als er meinen Familiennamen las, heftete er den Blick auf mich und las den Namen ein zweites Mal.
    Dann fuhr er fort, mit schwacher Stimme die restlichen Namen zu lesen, bis er das Ende der Liste erreicht hatte.
    Er klappte das Klassenbuch zu und sagte noch einmal meinen Namen. »Komm in der Pause zu mir«, sagte er und begann mit dem Unterricht.
    Nach dem Klingeln wartete er an der Tür auf mich.
    »Du bist die Tochter von Kube, du siehst ihm

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