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Es war einmal eine Familie

Es war einmal eine Familie

Titel: Es war einmal eine Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lizzie Doron
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Militärbasis nach Tel Aviv in unser Viertel.
    Als ich die Wohnung betrat, stellte sich meine Mutter vor mich. »Malkale hat angerufen, ob du was von Zvika gehört hast«, sagte sie besorgt.
    Ich schwieg.
    »Frau Lewinger fragt, ob du etwas von ihrem Ascherke und von Uri weißt«, fuhr meine Mutter fort.
    »Ich bin nicht der Generalstabschef«, schrie ich. »Woher soll ich es wissen!«
    Meine Mutter ließ nicht locker. »Auch Dorka hat kein Wort von Dovele gehört. Vielleicht kannst du bei seiner Einheit anrufen und herausfinden, ob sie etwas wissen?«
    »Sag allen, daß ich desertiert bin!« schrie ich.
    Sie verließ das Zimmer.
    Kurz darauf kam sie mit einem Glas heißen Tee und Butterkeksen zurück.
    Sie stellte alles auf den Tisch und ging wieder hinaus, schweigend und mit düsterem Gesicht.
    Ich schloß mich in meinem Zimmer ein, schloß die Fensterläden und stöpselte das Telefon aus.
    In den Tagen danach hörte ich, wie sie zu jedem, der anrief, und zu jedem, der kam, sagte: »Sie ist krank, sie ist sogar vom Militär befreit worden.«
    Nach einigen Tagen klopfte sie an meine Zimmertür.
    »Meir Oldak, dein Mathematiklehrer, hat schon ein paarmal angerufen«, sagte sie. Ich machte die Tür auf. Sie fuhr fort: »Er hat gehört, daß du seinen Sohn beim Militär kennengelernt hast, und nun möchte er wissen, ob es stimmt, daß Gadi nach Israel zurückgekommen ist. Jemand hat seinen Sohn gesehen, wie er vom Flughafen direkt zu seiner Einheit gefahren ist. Meir fragt, ob ihr im Krieg zusammengewesen seid.«
    »Gadi ist gefallen«, sagte ich.
    Schweigen breitete sich aus.
    Meine Mutter kam in mein Zimmer, setzte sich auf einen Stuhl und schaute mich mit feuchten Augen an.
    »Auch ich war damals jung«, sagte sie, als wolle sie sich dafür entschuldigen, daß sie es trotz ihrer Erfahrung nicht geschafft hatte, mir den Krieg zu ersparen.
    »Was hätte ich noch tun können?« fragte sie sich selbst, und zu mir sagte sie gequält: »Das ist dein Krieg. Was für ein Erbe! Was für ein Erbe!«
    Wieder breitete sich Schweigen aus.
    Sie trank einen Schluck Wasser und sagte dann: »Die Deutschen haben wir hier besiegt, nicht mit Kanonen, nicht mit Panzern und nicht mit Flugzeugen. Wir haben sie besiegt, indem wir Familien gegründet und Kinder auf die Welt gebracht haben. Und jetzt, da man uns unsere Kinder tötet, verlieren wir auch den Krieg von damals.«
    Und da, in meinem Zimmer, sie auf dem Stuhl und ich auf dem Bett, hörte ich ihr zum ersten Mal in meinem Leben zu – und verstand.
Abschluß
    Donnerstag, kurz vor Mittag
    »Wir sind gekommen, um uns zu verabschieden«, verkündete Genia.
    Sie trat ein und schaute sich neugierig um. Sonia, ihre Freundin, trug ein geblümtes Kleid in kräftigen Farben, das ihr Gesicht noch blasser und erschöpfter erscheinen ließ. Mit dem Ende der Schiwa schien sie um Jahre gealtert zu sein.
    »Es war einmal eine Familie, hier war einmal eine große Familie«, brach es aus Genia heraus. »Und heute ist alles vorbei.« Ich betrachtete die beiden, die in den Zimmern herumgingen, als wären sie hier zu Hause, und erinnerte mich, daß sie nie zum Kreis der Freundinnen meiner Mutter gehört hatten.
    »Wann habt ihr meine Mutter kennengelernt?« fragte ich.
    »Das ist lange her«, antwortete Genia.
    »Kennt ihr sie von dort?« fragte ich.
    »Von hier«, antwortete sie.
    »Wir waren zusammen bei den Beerdigungen, wir haben sie bei Gedenkfeiern getroffen«, mischte sich Sonia ein.
    »Deine Mutter hat uns oft eingeladen, sie einmal zu besuchen«, erzählte Sonia. »Sie hat immer gesagt, daß wir gute Freundinnen sein könnten, denn wir waren gute Freundinnen von allen Toten.«
    »Aber bis sie starb, ist es nicht zu einem Besuch gekommen«, seufzte Genia und fügte bedauernd hinzu: »Und jetzt, siehst du, ist es schon zu spät, jetzt sind wir gekommen, um uns zu verabschieden.«
    Bevor sie hinausgingen, nahm Sonia meine Hand. »Weil du jetzt ganz und gar verwaist bist«, sagte sie und drückte fest meine Hand, »werden wir uns wahrscheinlich erst in der kommenden Welt wiedersehen.«
    »Tfu, was redest du da!« schimpfte Genia. Sie entschuldigte sich bei mir. »Das wird noch viele Jahre dauern.« Sie zog Sonia zur Tür und flüsterte mir im Vorbeigehen zu: »Abschiede fallen ihr schwer.«
    »Die Schiwa war wirklich sehr gelungen, nur schade, daß Helena nicht dabei war«, rief mir Sonia über Genias Kopf hinweg zu.
    Sie gingen. Ich schaute ihnen nach, und mein Herz flog ihnen zu. Plötzlich

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