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Es war einmal eine Familie

Es war einmal eine Familie

Titel: Es war einmal eine Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lizzie Doron
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Panzer- und Artillerieeinheiten. Unsere Armee erwiderte das Feuer und drängte die Angreifer zurück. Der Feind hat bereits schwere Verluste erlitten«, verkündete Ministerpräsidentin Golda Meir der Nation.
    Während ihrer Rede saß ich, eine zwanzigjährige Soldatin, die für Jom Kippur Urlaub von der Armee bekommen hatte, vor dem Fernseher.
    Ich warf meiner Mutter einen Blick zu.
    Ihre Augen waren weit aufgerissen, ihre Lippen trocken, ihre Stirn und Wangen gerötet.
    Nachdem sie gehört hatte, daß »der Feind bereits schwere Verluste erlitten« habe, verzerrte sich ihr Gesicht. Mit zusammengekniffenen Augen starrte sie den Bildschirm an.
    »Der Feind hat bereits schwere Verluste erlitten«, wiederholte sie. »Und bei uns«, schrie sie die Ministerpräsidentin an, »sag doch, was bei uns passiert ist! Unsere Kinder sind alle in der Armee!«
    Dann wandte sie den Blick vom Bildschirm. »Eine Shoah, eine Shoah«, preßte sie hervor.
    Die Ministerpräsidentin fuhr mit ihrer Rede fort. »Unsere Truppen sind gegen die Gefahr angemessen gerüstet, wir haben keinen Zweifel an unserem Sieg.«
    Meine Mutter schlug wütend auf den Fernseher.
    Der Bildschirm wurde dunkel.

    Im Jom-Kippur-Krieg, in den Kämpfen am Suezkanal, fiel Dovele.
    Bei der Beerdigung drückte Dorka ein altes, vergilbtes Foto an ihre Brust. Auf dem Bild sah ich einen ungefähr achtjährigen Jungen mit großen schwarzen Augen, mit Stiefeln bis zu den Knien und einer riesigen Wollmütze auf dem Kopf, im Hintergrund eine Holzhütte und eine verschneite Ebene.
    Als der Leichenzug das Grab erreichte, hob Dorka den Blick zum Himmel. »Du liebst Geigenspieler?« schrie sie und deutete auf das Foto, das sie in der Hand hielt. »Meinen Dovele, den Erstgeborenen, hast du dort genommen, und hier«, sie deutete auf den Holzsarg, der mit der israelischen Flaggebedeckt war, »hast du auch ihn genommen.« Dann fragte sie mit brechender Stimme: »Warum? Warum auch ihn? Warum zwei? Hast du ein Orchester im Himmel?«
    Und als der Militärrabbiner mit der Beerdigungszeremonie begann, unterbrach sie ihn: »Meinen Dovele werden Sie nicht begraben«, schrie sie. »Mich sollt ihr ins Grab legen!« Der Militärarzt gab ihr eine Beruhigungsspritze.
    Efraim wurde zum Kaddisch gerufen. »Es gibt kein ›Erhoben und geheiligt werde Sein großer Name‹ mehr«, sagte er zum Rabbiner und fiel ohnmächtig zu Boden.
    Die Beerdigungszeremonie endete mit einer Gewehrsalve und in großer Stille.

    Jedes Jahr kamen Doveles Eltern, gemeinsam mit Nachbarn und Freunden, am Grab zu einer Gedenkfeier zusammen.
    Drei Jahre nach der Beerdigung kam auch eine fremde alte Frau zum Friedhof.
    »Ich bin Mela, Marians Tante«, stellte sie sich vor. Und mit zitternder Hand hielt sie Dorka einen hellblauen Briefumschlag hin. »Der ist für Sie, von Marian.«
    Dorka wurde blaß. Einen Moment lang schwieg sie, dann wandte sie sich an die Versammelten. »Sagt der Tante von dieser kurve , sie soll mit diesem Brief sofort von hier verschwinden«, verlangte sie nachdrücklich.
    Die bestürzte Mela wollte etwas sagen, aber Dorka schrie: »Weg mit dir, kurve , kurve , arojss !«
    Mela fiel in sich zusammen und verließ beschämt den Friedhof.
    Nach einigen Tagen nahm Efraim allen Mut zusammen, klopfte an Melas Tür, entschuldigte sich in Dorkas Namen und vor allem in seinem und stellte einen Korb mit Köstlichkeiten aus seinem Laden auf die Schwelle. Ehrerbietig bat er um den Brief.
    Mit Hilfe des Himmels,
    Brooklyn, 1976
    Liebe Dorka, lieber Efraim,
    der Heilige, gelobt sei Er, segnete mich mit einem erstgeborenen Sohn. Mein Sohn wurde am Vorabend des heiligen Jom Kippur geboren, und ich sah darin ein Zeichen des Himmels. Ich dachte an Dovele, er ruhe in Frieden, und wußte, daß er Euer einziger Sohn war. Damit sein Name in Erinnerung bleibt und seine Seele Ruhe findet, nannte ich meinen Sohn Dov. Wenn Gott will, wird mein Dovele gottesfürchtig aufwachsen, heiraten und gute Taten vollbringen, und Dovele, nach dem er benannt ist, möge uns und Euch und ganz Israel beschützen.

    Marian hatte dem Brief ein Foto beigelegt. Dieses Foto hängte Efraim in seinem Laden über die Kasse.
    Von dem Foto lächelte den Betrachter eine Frau in einem schweren Pelzmantel an. Ihr Gesicht war ungeschminkt, die Haare unter einem straffen Kopftuch verborgen. Auf den Armen trug sie ein süßes Baby, in eine dicke Decke gewickelt und mit einer Wollmütze auf dem Kopf, im Hintergrund sah man ein kleines Haus und einen

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