Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Es war einmal eine Frau, die ihren Mann nicht sonderlich liebte

Es war einmal eine Frau, die ihren Mann nicht sonderlich liebte

Titel: Es war einmal eine Frau, die ihren Mann nicht sonderlich liebte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ljudmila Petruschewskaja
Vom Netzwerk:
Tanjas Hof. Tanja, nehme ich an, lebt schon lange nicht mehr, aber Marfutka wird noch da sein. Wenn wir so aussehen wie Marfutka, dann werden sie uns nichts mehr tun.
    Aber bis dahin haben wir noch lange, lange zu leben. Und außerdem sind wir ja auch nicht von gestern. Wir werden uns mit unserem Vater ein neues Versteck erobern.
    [ 1 ] assoziiert im Russ.: Erschöpfung, Vernichtung, Seuche.
    [ 2 ] Kinderwort für Amme.
    [ 3 ] Findling.

#
    Das Wunder
    Der Sohn einer Frau hängte sich auf.
    Das heißt, als sie vom Nachtdienst kam, lag der Junge auf dem Fußboden, neben dem Hocker, und an der Lampe baumelte ein dünner Nylonstrick.
    Der Mund des Jungen war blutig, und am Hals war ganz deutlich ein roter Striemen zu sehen.
    Er war bewusstlos, aber sein Herz klopfte schwach, sodass der Notarzt sagte, es sei nur ein Selbstmordversuch gewesen.
    Auf dem Tisch lag dazu ein Zettel: »Mama, verzeih mir, ich liebe dich.«
    Erst als sie den Sohn auf einer Trage über den Krankenhauskorridor weggebracht hatten (die Mutter war mit ihm im Krankenwagen zur Notaufnahme gefahren und hatte ihn nicht allein gelassen, bis er hinter der Tür zur Intensivstation verschwunden war, sie hatte die ganze Zeit seine Hand gehalten), erst als sie wieder zu Hause war, entdeckte sie, dass der Wollstrumpf ganz unten im Koffer leer war.
    Eigentlich hätten dort zwei Eheringe, das ganze Geld, Dollarnoten und goldene Ohrringe mit Rubinen liegen müssen.
    Später vermisste die arme Frau auch noch das Tonbandgerät, den einzigen Wertgegenstand, den sie für ihren Sohn angeschafft hatte, damit er wieder zur Schule ging.
    Dann entdeckte sie unter dem Bett und in der Küche massenweise leere Flaschen, im Spülbecken einen ganzen Berg schmutzigen Geschirrs, und auf dem Klo Spuren von Erbrochenem und anderen abscheulichen Dingen.
    Eigentlich hatte sie schon früh am Morgen, als sie vom Nachtdienst heimkam, noch auf der Schwelle, gedacht, hier hat wohl eine Fete stattgefunden. (Der Sohn musste zur Armee und hatte gesagt, er wolle Freunde einladen, die Mutter aber war die ganze Zeit dagegen gewesen.)
    Als sie aber in die Wohnung trat, in das einzige Zimmer, und die schiefhängende Lampe erblickte, den zur Seite gerückten Tisch, den umgekippten Hocker und, noch schrecklicher, den Strick und den Körper auf dem Fußboden, war auf der Stelle ihr Zorn verflogen.
    Erst als sie aus dem Krankenhaus wiederkam, holte sie sich alles ins Gedächtnis zurück und zog, gleich nachdem sie den Hocker aufgehoben hatte, den Koffer unterm Bett hervor.
    Er war nur flüchtig zugemacht worden, nur das eine Schloss, das zweite war aufgesprungen.
    Dieses aufgesprungene Schloss sagte ihr viel, mit angehaltenem Atem und ohne jegliche Hoffnung öffnete sie den Koffer.
    Der Strumpf lag auf seinem Platz in der Ecke unter den Kleidern, aber leer.
    In diesem Strumpf hatte sie all ihre Hoffnungen auf Rettung aufbewahrt, sie hatte verschiedene Pläne geschmiedet, mal wollte sie einen Fernseher kaufen, mal Geld bezahlen, damit der Junge extern zu den Aufnahmeprüfungen in die Mittelschule zugelassen würde, die alte Schule hatte er mitten im Jahr geschmissen.
    Oder sie träumte davon, eine andere Wohnung zu nehmen, sich noch ein bisschen anzustrengen und zu sparen und dann die Einzimmerwohnung gegen eine Zweizimmerwohnung zu tauschen, von ihr aus in einem schlechten Bezirk, damit der Junge ein eigenes Zimmer bekam. Auch wenn das Zusammenleben mit ihm schwer war, er war ihr einziger Verwandter, sie hatte weiter niemanden, ihre gesamte Familie war gestorben, ihre ganze Sippe, die Eltern, Tanten und Onkel, ihr Mann kam in jungen Jahren um, sie war unter einem unglücklichen Stern geboren.
    Nun wollte auch noch der Junge gehen.
    Ãœbrigens hatte er schon seit Langem davon gesprochen, der Armeedienst rückte langsam, aber sicher heran, und er war immer ein weiches, gutherziges Kind gewesen, hatte sich nie gern gekabbelt, hatte immer gesagt, er könne keinem was zuleide tun, deshalb wurde er in der Schule häufig geschlagen, drei Jungen aus der Nachbarklasse verfolgten ihn und lachten ihn aus, weil er sich nicht wehrte, dieser Schlappschwanz, und sie leerten seine Hosentaschen, einschließlich Taschentuch, er aber schwieg.
    Was ihn jetzt nicht daran hinderte, im betrunkenen Zustand die Hand gegen die Mutter zu erheben. Überhaupt waren schreckliche Veränderungen mit ihm vorgegangen, als er sich mit den älteren Jungen

Weitere Kostenlose Bücher