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Es war einmal eine Frau, die ihren Mann nicht sonderlich liebte

Es war einmal eine Frau, die ihren Mann nicht sonderlich liebte

Titel: Es war einmal eine Frau, die ihren Mann nicht sonderlich liebte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ljudmila Petruschewskaja
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sie im Laufe mehrerer Jahre zusammengesammelt, als sie wirklich noch billig und leicht zu kriegen waren. Als ehemaliger Sportler, Bergsteiger und Geologe hatte er nach seiner Becken- und Beinverletzung schon viele Jahre den Wunsch gehabt, wegzugehen, und nun trafen die Umstände mit seiner progressiven Fluchtmanie zusammen, und wir machten uns aus dem Staub, als der Himmel noch wolkenlos war. »Ganz Spanien unter wolkenlosem Himmel«, witzelte mein Vater an jedem sonnigen Morgen.
    Es wurde ein herrlicher Sommer, alles reifte und füllte sich mit Saft, unsere Lena fing an zu sprechen, lief uns im Wald immer hinterher, suchte nicht mit nach Pilzen, sondern hing meiner Mutter ewig am Rockzipfel, wie festgenäht, und als gäbe es nichts Wichtigeres in ihrem Leben. Vergeblich versuchte ich sie auf Pilze und Beeren aufmerksam zu machen, ein Kind in ihrer Situation konnte nicht einfach leben und die Erwachsenen in Ruhe lassen, sie musste ihre Haut retten und klebte an meiner Mutter, auf ihren kurzen Beinchen und mit ihrem aufgeblähten Bauch rannte sie ihr ständig nach. Lena sagte Njanja [2] zu meiner Mutter, irgendwo musste sie dieses Wort aufgeschnappt haben, von uns jedenfalls hatte sie es nicht. Zu mir sagte sie auch Njanja, sehr geistreich übrigens.
    Eines Nachts hörten wir vor der Tür ein Piepsen, wie von einem Kätzchen, und fanden einen in eine alte, ölverschmierte Wattejacke gewickelten Säugling. Meinem Vater, der sich mit Lena abgefunden hatte und sogar tagsüber zu uns kam, um die Wirtschaft in Schuss zu halten, platzte endgültig der Kragen. Meine Mutter reagierte sauer und wollte von Anisja erfahren, wer das gewesen sein konnte. Mit dem Kind im Arm und mit der schweigsamen Lena machten wir uns nachts zu Anisja auf. Die schlief nicht, auch sie hatte das Kind schreien hören und war schrecklich aufgeregt. Sie erzählte uns, in Tarutino wären die ersten Flüchtlinge eingetroffen, bald würden auch zu uns welche kommen, das könne ja heiter werden. Das Kind quäkte markerschütternd und pausenlos, sein Bauch war hart und aufgebläht. Tanja, die wir am nächsten Morgen zur Untersuchung holten, meinte, ohne das Kind angerührt zu haben, es sei mit ihm bald zu Ende, schwere Ernährungsstörung. Das Kind quälte sich, es schrie, wir aber hatten nicht mal einen Sauger zum Trinken, und als meine Mutter ihm Wasser in den ausgetrockneten Mund träufelte, verschluckte es sich. Der Säugling sah aus wie vier Monate. Mama lief nach Tarutino und tauschte bei den Einheimischen ein Häufchen Salz gegen einen Sauger, ganz aufgekratzt kam sie zurück, und das Kind trank ein bisschen Wasser aus der Flasche. Mama machte ihm einen Einlauf, sogar mit Kamille, wir alle, mein Vater inbegriffen, rannten emsig hin und her, machten Wasser heiß und legten dem Kind eine Wärmflasche auf den Bauch. Allen war klar, dass wir das Haus, den Garten und unsere geordnete Wirtschaft schleunigst verlassen mussten, sonst würde man uns bald auf die Spur kommen. Den Garten aufgeben hieße den Hungertod sterben. Der Familienrat tagte, und mein Vater erklärte, Mutter und ich würden in den Wald umziehen, während er sich mit dem Gewehr und dem Hund im Schuppen beim Gemüsegarten niederlassen wollte.
    In der Nacht machten wir uns mit der ersten Fuhre auf den Weg. Der Junge, den wir Naiden [3] tauften, lag in der Karre auf den Bündeln. Zur Verwunderung aller tat der Einlauf seine Wirkung, der Kleine trank ein bisschen verdünnte Ziegenmilch, und nun lag er, an der Karre festgeschnallt, im Schaffell, Lena ging nebenher und hielt sich an den Bündeln fest.
    Im Morgengrauen kamen wir in unserem neuen Zuhause an. Mein Vater ging sofort wieder los, um die zweite und dritte Fuhre zu holen. Wie eine Katze schleppte er mit den Zähnen immer neue Junge herbei, das heißt all das, was er mit seiner eigenen Hände Arbeit herangeschafft hatte. Die kleine Hütte war bald bis oben hin voll. Am Tage, als wir alle erschöpft eingeschlafen waren, bezog mein Vater seinen Posten. Nachts brachte er eine Karre mit ausgegrabenem jungem Gemüse an: Kartoffeln, Mohrrüben und Rote Bete, Rettiche und kleine Zwiebeln. Wir breiteten alles im Vorratskeller aus. In derselben Nacht noch machte er sich erneut auf die Socken und kehrte beinahe im Laufschritt, mit leerer Karre wieder zurück. Niedergeschlagen kam er angehumpelt und sagte: »Alles im Eimer!« Ein

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