Es war einmal in New York / Nie wieder sollst du lieben
sich anmerken ließ, dachte sie bestürzt. Mein Gott, wenn er nun tatsächlich noch Gefühle für Daisy hatte? Konnte sie das verkraften, wo sie doch Daisy schon immer als eine Bedrohung für ihre Beziehung empfunden hatte?
Zusammengekauert wie ein Kind, die Knie an die Brust gezogen, saß Rose auf dem Sofa. Ihr dunkelgrünes Abendkleid war über und über mit Blut besudelt. Als sie Schritte hörte, sah Rose auf.
Sofort sprang sie auf die Füße und deutete mit zitterndem Finger auf Hart. „Du! Ich hätte es wissen müssen! Du verdammter Bastard! Du hast sie getötet!“
Police Commissioner wird Pflichtversäumnis vorgeworfen
Commissioner lässt Reformer im Stich Führende Bürger entrüstet über Polizeimethoden
Angewidert schleuderte Rick Bragg die drei Zeitungen von seinem Schreibtisch und vergrub den Kopf in seinen Händen. Er hatte Kopfschmerzen und war unglaublich müde. Nie hatte er sich erschöpfter gefühlt, und das hatte nichts damit zu tun, dass die alte Standuhr in der Halle gerade einmal geschlagen hatte, zum Zeichen, dass es ein Uhr in der Früh war. In diesem Moment bedauerte er fast schon seine Ernennung durch den Bürgermeister, eine Ernennung, die ursprünglich mit Freude und Hoffnung verbunden war. Er war der erste Police Commissioner seit Teddy Roosevelt, der sich an die große Aufgabe machte, den korrupten Polizeiapparat zu reformieren. Doch die Schlagzeile des Tages warf ihm Untätigkeit vor – eine Untätigkeit, mit der er nie gerechnet hätte, aber der Bürgermeister hatte ihm die Hände gebunden und ließ ihn seine Arbeit nicht so tun, wie er sie gern getan hätte.
Seufzend griff Bragg nach dem Bourbon. Bürgermeister Low fürchtete um die Stimmen der großen deutschen Gemeinde und hatte darum gebeten, dass die Sonntagsgesetze, die die Schließung sämtlicher Lokale am Sabbat vorsahen, von der Polizei nicht weiter durchgesetzt wurden. Obwohl jede Gruppe von Reformern in der Stadt die Schließungen bejahte. Doch nach mehreren Razzien hatte Tammany Hall es sich zur Aufgabe gemacht, Bragg und seinen Kräften so viele Steine wie möglich bei der Einführung der Gesetze in den Weg zu legen. Die deutschen Arbeiter der Stadt waren aufgebracht und forderten per Demonstration und Eingaben ihre Rechte. Aus Furcht, seine Wiederwahl zu gefährden, hatte Low Bragg um Rückzug gebeten.
Low war gut für die Stadt. Er hatte sich den sozialen und politischen Reformen verschrieben, und er war mutig genug, um Hall entgegenzutreten. Außerdem war er Braggs Chef. Daher gab es für Rick keine Möglichkeit, seine Anweisungen zu ignorieren, selbst wenn er damit seinen Schwur, das Rechtzu vertreten und ihm zu dienen, gefährdete.
Nun konnte er von niemandem mehr Unterstützung erwarten. Die Reformer, die vom Klerus und den progressiven Eliten der Stadt angeführt wurden, forderten ebenso massiv seinen Rücktritt wie der halbe Polizeiapparat. In den letzten fünf Monaten hatte er intern für Aufregung gesorgt, indem er überall Inspektoren degradierte, um den Ring von Bestechung und Erpressung aufzubrechen, der die Stadt im Würgegriff von Korruption und Lüge hielt. Einzig Low machte deutlich, dass er Rick weiter im Amt sehen wollte. In Anbetracht der Umstände war er als Bürgermeister recht zufrieden mit der internen Säuberung des Polizeiapparats. Und auch wenn Rick einen Rücktritt noch nicht wirklich erwogen hatte, kam er ihm an endlosen Tagen wie diesem schon mal in den Sinn.
Er war nie zu Hause, dabei hatte seine Familie ihn nie mehr gebraucht als jetzt.
Mit einem Schluck trank er das Glas Bourbon aus und schenkte sich nach. Seine Familie. Das Bild seiner schönen Frau und der zwei kleinen Töchter, die sie adoptieren würden, tauchte vor seinem geistigen Auge auf. Wem machte er etwas vor? Vor ein oder zwei Stunden hatte er den dringendsten Papierkram erledigt und dann beschlossen, sich den verdammten Zeitungen und ihren Anschuldigungen zu widmen, weil er Angst hatte, nach oben zu gehen.
Angst, das Schlafzimmer zu betreten, das er mit seiner Frau teilte. Angst, ins Bett zu gehen.
Er stützte das Kinn in die Hände und schloss die Augen. Denn er war so müde, dass er am Schreibtisch hätte einschlafen können. Und das lag nicht an seiner Position, nicht an der Korruption und nicht an der Politik – es lag an dem persönlichen und privaten Dilemma, in dem er sich befand. Wie lange konnte er noch so weitermachen?
Er war ein Fremder geworden für seine Familie, ein Fremder für die kleinen
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