Es war einmal in New York / Nie wieder sollst du lieben
früh zu Bett ging, konnte sie seit ihrem Unfall nicht mehr schlafen. Noch schlimmer: Ihre Augen hatten einen gequälten Ausdruck, der ihre tiefe Verzweiflung wiedergab.
Leigh Anne saß in ihrem Rollstuhl und starrte ihr Spiegelbild an. Dabei dachte sie daran, dass draußen im Gang der Krankenpfleger stand, den ihr Mann engagiert hatte, und ihre Befehle erwartete. Neben ihr stand ihre Tochter Katie und wollte mit ihr hinausgehen.
Katie war nicht ihre leibliche Tochter. Als sie und Rick sich versöhnten, hatte er Katie und ihre kleine Schwester Dot in Pflege. Ihre Mutter war ermordet worden, und Francesca Cahill hatte beide Mädchen vorübergehend bei Rick untergebracht. Nach ein paar Monaten hatte Leigh Anne beide Mädchen so in ihr Herz geschlossen, als wären sie ihr eigen Fleisch und Blut. Da es Rick genauso ging, entschieden sie, die Schwestern offiziell zu adoptieren. Ohne die Mädchen konnte sich Leigh Anne das Haus gar nicht mehr vorstellen – und ihre Ehe schon gar nicht.
Vor langer Zeit war sie furchtbar verliebt gewesen. Und trotz der vierjährigen Trennung wusste sie, dass sie Rick noch immer liebte. Was für eine Ironie, dass all die Unstimmigkeiten,Missverständnisse und gebrochenen Versprechen nichts an ihren Gefühlen geändert hatten. Doch das spielte keine Rolle mehr, da sie nicht länger zumutbar für ihn war.
„Mama?“ Besorgt lächelte Katie sie an.
Immer wieder erstaunte es Leigh Anne, wie scharfsinnig dieses Kind war. Katie war sich der Traurigkeit und Qualen ihrer Adoptivmutter offenbar wohl bewusst und beobachtete sie wie ein Habicht, um ihr jeden Wunsch von den Augen abzulesen und damit ihren Schmerz zu lindern. Doch Leigh Anne wusste, dass nichts ihren Verlust und ihr gebrochenes Herz heilen konnte. Betont fröhlich lächelte sie ihrer Tochter zu. „Kannst du Mr Mackenzie rufen, damit wir runtergehen können?“
Katie nickte eifrig und lief aus dem Ankleidezimmer. Wieder betrachtete Leigh Anne ihr Spiegelbild und bemerkte, wie das Lächeln erlosch, sobald das Kind fort war. Die Frau, die sie nun eingehend musterte, war zwar bleich, aber gutaussehend und mit ihrem lavendelfarbenen Seidenkleid und den Amethysten perfekt gekleidet. Sie saß in einem seltsamen Stuhl mit riesigen Rädern und Handgriffen, die einem Helfer das Schieben erleichterten. Die Frau war ein Krüppel.
Fest hatte sich dieses Bild in ihr Bewusstsein gegraben. Und das war es, was Rick bei jedem Blick zu ihr sah: einen Krüppel.
Ihr rechtes Bein schmerzte, doch sie hatte kein Gefühl darin und würde es vermutlich auch nie wieder haben. Tatsächlich glaubten die Ärzte, dass sie mit viel Übung ihr rechtes Bein nach einiger Zeit wieder etwas bewegen könnte. Doch ihr linkes war zu stark verletzt. Warum also sollte sie überhaupt versuchen, die Kontrolle über das eine Bein zurückzugewinnen? Sie würde niemals wieder gehen, niemals wieder tanzen, niemals wieder Liebe machen …
So viel Selbstmitleid war jämmerlich, das wusste Leigh Anne. Täglich sagte sie sich, dass sie schließlich am Leben warund die Mädchen hatte. Lieber Gott, sie wüsste nicht, was sie ohne sie täte! Schnell und kurz wischte sie sich über die Augen. Sie erlaubte sich dieses Selbstmitleid nur, wenn sie allein war. Ansonsten sagte sie sich, dass sie keine Beine brauchte, wenn sie einen Rollstuhl und einen Pfleger hatte. Sagte sich, dass sie glücklich sein konnte, unglaublich glücklich, dass sie unverhofft Mutter von zwei so wundervollen Mädchen geworden war. Doch keine Stimme der Vernunft konnte ihre Traurigkeit lindern. Als wäre ich lebendig begraben, dachte sie düster, doch der Tod ist keine Alternative.
Das Telefon, das erst vor kurzem im Haus installiert worden war, klingelte im Schlafzimmer direkt neben ihrem Ankleidezimmer. Ohne nachzudenken griff sie nach den Rädern und versuchte vorwärtszukommen, doch sie war zu schwach. Tränen der Enttäuschung stiegen in ihr hoch, während sie beobachtete, wie der Pfleger zum Telefon ging. Er war ein hochgewachsener, gut aussehender junger Mann. „Einen Moment, Sir. Ich hole sie.“
Es ist Rick, dachte sie, während ihr Herz bis zum Hals schlug und eine seltsame Mischung aus Angst und Erwartung sie befiel. Ob es immer so sein würde? Ob ein Teil von ihr immer nach einem Wort oder einem Blick von ihm verlangen würde, nach seiner Anwesenheit?
Nun kam Mackenzie ins Ankleidezimmer. „Es ist der Commissioner“, sagte er höflich und schob sie mühelos ins Schlafzimmer. Dort platzierte er
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