Es war einmal in New York / Nie wieder sollst du lieben
eine Verkäuferin hinter der Theke. „Nein, es geht mir gut“, brachte sie heraus. „Vielen Dank.“ Doch noch während sie antwortete, überlegte sie, was sie bloß machen sollte. In den letzten Wochen war es ihr gelungen, ihre tiefsten, verborgensten Ängste zu verdrängen, aber die Begegnung mit Daisy hatte sie alle an die Oberfläche zurückkehren lassen. Alles war immer noch so wie zuvor, nichts hatte sich geändert.
Hart liebte sie nicht, er glaubte gar nicht an Liebe, und sie hatte sich Hals über Kopf in ihn verliebt. Großer Gott, was sollte sie nur tun?
Wenn sie klug war, würde sie ihn verlassen. Zumindest das war ihr klar.
Oder aber sie würde sehr, sehr stark und tapfer sein müssen.
4. KAPITEL
Mittwoch, 23. April 1902
13 Uhr
Nachdem sie ihre Fassung endlich wiedererlangt hatte, begab sich Francesca zu einem Stand, an dem Seifen und Parfüms verkauft wurden. Eine hübsche brünette Verkäuferin erklärte einer älteren, elegant gekleideten Dame gerade die Vorzüge von Lavendelseife. Francesca stellte sich einfach dazu und wartete.
Die Verkäuferin war Anfang zwanzig. Ihr schwarzes Kleid mit dem weißen Kragen bedeckte nicht ganz ihren Hals. Da Francis O’Leary keinen Verband mehr trug, war die dünne hellrote Linie wahrzunehmen, die sie als Opfer des Schlitzers förmlich brandmarkte.
Die Dame öffnete ihre Handtasche und holte einige Münzen heraus, die sie Francis in die Hand legte. Dabei fiel Francesca ein silberner Ring auf, in den ein kleiner roter Stein eingelassen war, und sie fragte sich, ob diesem Schmuckstück wohl eine besondere Bedeutung zukam.
Mit der Seife in einer kleinen Einkaufstasche ging die Kundin weg, und Francis drehte sich zu Francesca um. „Kann ich Ihnen behilflich sein, Miss?“, fragte sie freundlich und sah diese etwartungsvoll an.
Francesca lächelte sie an und reichte ihr eine Visitenkarte, auf der geschrieben stand:
Francesca Cahill, Kriminalistin aus Leidenschaft
810 Fifth Avenue, New York City
Akzeptiere alle Fälle, kein Verbrechen zu geringfügig.
Als Francis den Text las, verfinsterte sich ihre Miene. Sie schnappte erschrocken nach Luft und sah auf. „Was hat das zu bedeuten?“, fragte sie ängstlich.
„Sie sind Francis O’Leary?“, entgegnete Francesca.
Die junge Frau versuchte, ihr die Karte zurückzugeben. „Ja, die bin ich. Geht es um den Schlitzer?“ Sie schien in Panik zu geraten.
„Sie können meine Karte ruhig behalten, für den Fall, dass Sie mit mir Kontakt aufnehmen wollen“, erklärte sie. „Und ja, es geht um den Schlitzer. Ich habe diesen Fall übernommen, Mrs O’Leary.“
„Ich habe der Polizei doch schon alles gesagt“, flüsterte die Verkäuferin.
„Würde es Ihnen etwas ausmachen, es mir auch noch einmal zu sagen?“
Sie zögerte kurz. „Nein, wenn ich Ihnen damit helfen kann … auch wenn ich lieber alles vergessen würde.“
Francesca nahm ihre Hand. „Wir müssen verhindern, dass er erneut zuschlägt. Haben Sie von seinem dritten Opfer gelesen – die Frau ist tot, Mrs O’Leary.“
„Aber mich wollte er nicht umbringen!“, wandte Francis ein. „Da bin ich mir ganz sicher!“
„Wie können Sie sich denn so sicher sein?“, wollte Francesca wissen.
„Ich bin mir einfach sicher. Wenn er mich hätte töten wollen, dann hätte er die Gelegenheit dazu gehabt.“
„Bitte, Mrs O’Leary, erzählen Sie mir einfach nur, was geschehen ist.“
Wieder zögerte die junge Frau, dann nickte sie. Während sie zu erzählen begann, hielt sie sich so fest an der Theke fest, dass die Knöchel weiß hervortraten. „Ich wusste nicht, dass sich jemand in meiner Wohnung aufhielt. Ich hatte den ganzen Tag gearbeitet, ich war ganz schön erschöpft und hungrig.“Tränen stiegen ihr in die Augen. „Auf dem Heimweg hatte ich einen Laib Brot und ein wenig getrocknetes Corned Beef geholt. Ich wollte ein Fußbad nehmen und dann etwas essen.“
Francesca begann sich zu fragen, ob wohl alle Verkäuferinnen in der Stadt viel zu enge Schuhe trugen. „Reden Sie weiter.“
„Ich schloss die Tür auf, ging hinein und verriegelte sie sofort hinter mir. Ich wollte mich gerade auf das Sofa setzen, als er mich von hinten packte. Er hielt ein Messer an meinen Hals, so behutsam, dass die Klinge kaum die Haut berührte. Er sagte etwas zu mir mit heiserer Stimme, und dann schnitt er mir in den Hals. Schließlich stieß er mich weg, sodass ich zu Boden stürzte. Als ich aufsah, war er bereits verschwunden.“
„Die Polizei sagt aber,
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