Es war einmal in New York / Nie wieder sollst du lieben
abgenutzte Geländer der schmalen viktorianischen Treppe und ging langsam nach oben.
Aus dem Schlafzimmer der Mädchen hörte Bragg Stimmen. Behutsam bewegte er sich weiter, und seine Nervositätwuchs mit jedem Schritt. An der Tür angekommen, blieb er zunächst an der Schwelle stehen und warf einen Blick hinein. Leigh Anne saß in ihrem Rollstuhl und sah in ihrem pastellgrünen Seidenkleid und mit der Halskette aus Jade atemberaubend schön aus. Das Haar trug sie hochgesteckt, und sie lächelte. Sie wirkte wie ein Engel auf Erden. Dot saß auf ihrem Schoß, Katie hatte sich auf den Boden gesetzt und an Leigh Annes Beine gedrückt. Sie las den beiden eine Gutenachtgeschichte vor. In dem kleinen Zimmer mit den beige- und goldfarben bedruckten Tapeten und den dunklen, alten Möbeln hatte diese Szene etwas ungemein Geborgenes.
Bragg lächelte, doch sein Herz schmerzte. Er hätte mit ihnen in dem Zimmer sein sollen, als Teil der Familie, der in ihrer Mitte willkommen war. Stattdessen war er zu einer Art Außenseiter geworden.
Als Katie ihn sah, stand sie auf und lief mit ausgestreckten Armen zu ihm. „Daddy, du bist zu Hause!“
„Ja“, sagte er und strich über ihr weiches braunes Haar. „Und eure Mutter ist auch wieder da.“ Früher hatte er Leigh Anne nie als die Mutter der beiden bezeichnet, schließlich waren sie nur die Pflegeeltern, und eigentlich hätten die Mädchen auch nicht allzu lange bei ihnen bleiben sollen. Doch nun wars anders gekommen.
Katie lächelte ihn an und nickte. „Ich bin sehr glücklich, Daddy“, erklärte sie.
Noch vor wenigen Monaten, kurz nach dem Mord an ihrer leiblichen Mutter, war die Achtjährige verschlossen und deprimiert gewesen. Dass sie sich in dieser Zeit so sehr verändert hatte, erfüllte ihn mit tiefer Zufriedenheit. „Es ist ja auch ein Glückstag für uns“, gab er zurück und sah seine Frau an.
Leigh Anne hatte ihn beobachtet, doch jetzt wandte sie ihren Blick rasch ab und konzentrierte sich wieder auf das Buch, das auf ihrem Schoß lag. Dot, ein niedliches Mädchenmit blondem Haar und blauen Augen, klatschte in die Hände und gluckste begeistert: „Daddy, Daddy!“
Sein Herz schlug so wild, als wolle es seinen Brustkasten sprengen. Leigh Anne weigerte sich, ihn anzusehen. Wollte sie ihm auf diese Weise aus dem Weg gehen, wenn sie beide sich schon in einem Zimmer befanden? Während er sich vorbeugte, um Dot zu begrüßen, die an seinen Haaren zu ziehen begann, fragte er sich, ob es wohl doch besser gewesen wäre, Leigh Anne noch ein paar Tage im Bellevue zu lassen.
Er küsste Dot auf die zarte Wange. Dabei konnte er Leigh Annes Hände sehen, die auf dem Buch lagen und zitterten. Bragg richtete sich wieder auf, dann wagte er es, ihr einen flüchtigen Kuss auf die Wange zu geben, und sagte: „Willkommen zu Hause.“
„Danke“, erwiderte sie nur, vermied aber weiter jeden Blickkontakt. „Kommt, Mädchen. Wir lesen die Geschichte noch zu Ende, und dann wird es Zeit fürs Bett, Dot.“
Hilflos schob er die Hände in die Hosentaschen. Er kam sich unerwünscht vor, fehl am Platz. Dass Leigh Anne ihn nicht bat, sich zu ihnen zu setzen, sprach eine deutliche Sprache. So gern hätte er sich seiner Familie angeschlossen, doch es fehlte ihm der Mut. Seine Wangen begannen zu glühen.
Katie setzte sich wieder neben Leigh Anne auf den Boden, achtete aber darauf, nicht ihre Beine zu berühren. Dot rief: „Lesen, Mom, mehr lesen!“
Sie räusperte sich und begann zu lesen: „‚Und so fühlte sich der kleine Junge ganz traurig. Robert ging fort und …‘“
Bragg wandte sich ab und verließ das Zimmer.
Im Schlafzimmer legte er seine Krawatte ab. Als sie zu Boden fiel, wurde ihm bewusst, wie wütend er war. Er zog das Jackett aus und begann, sein Hemd aufzuknöpfen. Ihm war klar, dass er überhaupt kein recht hatte, wütend zu sein. Seinetwegen war sie ein Krüppel. Diese Tatsache ließ sich nichtschönreden, und sie hatte allen Grund, ihm deswegen aus dem Weg zu gehen und ihn sogar zu hassen.
Aber verdammt! Er wollte mit Leigh Anne und den Mädchen im Kinderzimmer sein, nicht für sich allein in ihrem gemeinsamen Schlafzimmer. Wenn es doch nur möglich gewesen wäre, diese Ausweglosigkeit zu überwinden.
Er schleuderte seine Jacke zu Boden, doch er fühlte sich nicht besser. Im Badezimmer zog er sein Hemd aus und musterte sein Spiegelbild. Er sah müde, zerzaust und mürrisch aus. Seine Augen waren die eines Mannes, der dringend Ruhe benötigte. Er rieb über
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