Es war einmal in New York / Nie wieder sollst du lieben
einem verächtlichen Laut fort. „Jemand Besseres. Jemand, dersehen kann, dass auch an einem grauen, regnerischen Tag die Sonne scheint. Jemand, der die Sonne dem Regen vorzieht.“
Sie begann zu verstehen. Ihr Herz stockte, Tränen stiegen ihr in die Augen. „Oh, Calder.“
„Er ist nicht so egoistisch, er will ehrbar sein.“ Endlich sah er wieder zu ihr. „Ich drücke mich wohl nicht sehr verständlich aus, oder?“
„Oh“, flüsterte sie. „Ich verstehe dich ganz genau.“
„Ja“, gab er leise zurück. „Nur du kannst es verstehen.“ Er berührte ihr Gesicht, ließ dann aber die Hand sinken.
Francesca begann zu weinen, doch er drückte sie nicht an sich, sondern steckte die Hände wieder in die Hosentaschen und sah hinaus in die Nacht. Nach einem kurzen Schweigen fuhr er fort: „Dieser andere Mann … das ist der Mann, der ich sein will, seit ich dich kenne.“
Das Geschäft für Damenhüte, in dem Kate Sullivan arbeitete, lag eineinhalb Blocks nördlich des Ehrich Brothers’ Emporium an der Sixth Avenue, nur ein kleines Stück von der Ecke zur 23. Straße entfernt. Obwohl es ein Ladenlokal von bescheidener Größe war, verfügte es über ein beachtliches Schaufenster, in dem schlichte Kappen, elegante Hüte und feine Seidenschals ausgelegt waren. Drinnen gab es eine einzelne Theke und ein Regal mit weiteren Modellen. Francesca suchte das Geschäft am nächsten Morgen auf und stellte sich der Inhaberin vor. Kurz darauf wurde Kate aus dem Lager gerufen.
Das zweite Opfer des Schlitzers war eine hübsche blonde Frau, die an diesem Tag einen dunklen Rock und eine weiße Bluse trug. Als sie auf Francesca zukam, war ihre Blässe nicht zu übersehen.
„Mrs Hathorne erwähnte, Sie seien eine Kriminalistin“, sagte Kate.
„Ja, das ist richtig.“ Francesca reichte ihr eine Visitenkarte,doch Kate schenkte ihr keine Beachtung. Sie wirkte verängstigt und verzweifelt. „Ich ermittle im Fall der Verbrechen, die der Schlitzer begangen hat, und ich würde Ihnen gern einige Fragen stellen.“
Kate schien den Tränen nahe zu sein. „Aber ich habe der Polizei doch bereits alles geschildert.“ Sie ging zu den beiden Stühlen, die in einer Ecke des Geschäfts standen, und setzte sich hin. Dem äußeren Eindruck nach zu urteilen, drohte sie jeden Moment ohnmächtig zu werden.
Francesca folgte ihr. „Kann ich Ihnen vielleicht ein Glas Wasser bringen?“
Sie schüttelte den Kopf und flüsterte: „Ich versuche, das alles zu vergessen. Aber wie soll mir das gelingen? Sobald ich die Augen schließe, sehe und höre ich ihn wieder.“
„Sie haben ihn gesehen?“ Francesca hockte sich neben ihr hin. „Davon stand nichts im Bericht.“
Sofort schüttelte Kate nachdrücklich den Kopf. „Nein, ich sah ihn nie, Miss Cahill. Er packte mich von hinten. Aber ich sehe ihn trotzdem vor mir, diesen großen, eleganten Mann.“
Das ergab keinen Sinn. Francesca setzte sich zu ihr auf den freien Stuhl. „Wie meinen Sie das?“
Kate zuckte mit den Schultern. „Ich meine, ich kann mir vorstellen, wie er aussah. Ich weiß, er war groß, weil ich selbst für eine Frau schon recht groß bin – ich bin fast eins fünfundsiebzig groß. Und er war ein ganzes Stück größer als ich. Ich hatte mich gerade ausgezogen, als …“ Tränen liefen ihr über die Wange.
„Brauchen Sie ein wenig frische Luft?“, fragte Francesca sie mitfühlend.
Kate nickte, und die beiden gingen nach draußen auf die Sixth Avenue. Eine Hochbahn ratterte vorüber und ließ die Gebäude zu beiden Seiten erzittern. Auf der überfüllten Straße wurde immer wieder wüst gehupt, und der Fahrer einesLastkarrens läutete lautstark seine Glocke. Fußgänger schoben sich in beide Richtungen an den zwei Frauen vorbei.
„Geht es Ihnen jetzt besser?“
Nachdem Kate tief durchgeatmet hatte, schien sie ihre Fassung zurückzugewinnen. „Mir wird jedes Mal übel, wenn ich nur an ihn denken muss.“
„Das kann ich gut verstehen. Dieser Mann muss gefasst werden, Miss Sullivan.“
„Oh ja, unbedingt.“ Sie lächelte schwach. „Ich habe über Sie gelesen, Miss Cahill, über Sie und über Ihre Fälle. Wie es heißt, sind Sie mit dem wohlhabendsten Junggesellen der Stadt verlobt, mit Mr Hart.“ Die Tränen ließen ihre Augen schimmern.
„Diese Arbeit bedeutet mir sehr viel“, erklärte Francesca, die Bemerkung über ihre private Situation bewusst ignorierend. Sie ertappte sich jedoch auch dabei, wie es ihr schmeichelte, dass man sie für interessant
Weitere Kostenlose Bücher