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Es war einmal oder nicht: Afghanische Kinder und ihre Welt (German Edition)

Es war einmal oder nicht: Afghanische Kinder und ihre Welt (German Edition)

Titel: Es war einmal oder nicht: Afghanische Kinder und ihre Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Willemsen
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Verhältnissen in Beziehung setzen müsse. Dass sie immer noch im Krieg stehen, sagt er, dass sie gekämpft haben, ja, aber aus »Notwehr«. Denn nicht sie hätten diese Politik gewählt, sondern die Politik habe entschieden, dass das afghanische Volk zwischen den Interessen anderer zerrieben werden sollte. Alles Weitere folge daraus. Die humanitäre Hilfe müsse jetzt strukturell denken. Der Ausbau der Wasserversorgung sei wichtig, gewiss, der Bau von Unterkünften für heimgekehrte Familien und Witwen-Programme müsse vorangetrieben, aber vor allem müssten Schulen für Mädchen errichtet werden, die früher keinen Zugang zur Bildung gehabt hätten.
    Wo diese Kinder ausdrücklich von Krieg und Frieden schreiben, klingt es so:
    »Ich hasse den Krieg und den Brudermord. O wie ich mir wünsche, dass man alle Waffen von meinem Land wegnimmt und unsere Landsleute wie Brüder miteinander befreundet sind und sich umeinander kümmern, dass sie nicht mehr streiten sollten.«
    »Frieden kommt, wenn Ruhe und Frieden bei der Bevölkerung herrschen, wenn Straßen gut ausgebaut sind und Autofahrer nicht die Fußgänger umbringen.«
    »Frieden kommt nach Afghanistan, wenn alle Schultore für Mädchen und Jungen geöffnet sind. Ich wünsche mir, dass wir frei und unabhängig sind und unser Land nicht mehr von fremden Mächten besetzt ist.«
    Die vierzehnjährige Fahima ordnet ihre Wünsche zu einem Prosagedicht:
»Meine Hoffnung, dass dieser Friedensvogel in ganz Afghanistan fliegt.
Diese Hoffnung wird realisiert, wenn:
Alle Zugang zur Bildung haben, ob sie arm sind oder reich,
Kein persönlicher Egoismus besteht bei keinem einzigen Menschen,
Die Worte ›dein‹ und ›mein‹ nicht mehr existieren,
Niemand nur darauf wartet, dass etwas geschieht, und sagt, ›das ist nicht meine Aufgabe‹,
Feindschaft und Hass nicht mehr existieren.
Dann besteht die Möglichkeit, dass die Friedenstaube glücklich über Afghanistan fliegt.«
    Ein anderes Mädchen fasst seine Erfahrungen lieber in erzählende Prosa und titelt: »Eine afghanische Geschichte. Als es keine Schule gab, haben wir die Kühe auf die Weide gebracht. Es war Krieg, und jeder hat jeden umgebracht. Keiner fragte, was dieses Töten bedeutet. Sie kannten keine Schule und wussten nicht, was Wissen ist, und kannten nicht die Feder. Und jetzt gehen wir zur Schule, statt Kühe auf die Weide zu bringen. Und ich weiß, was Schule ist, was Wissen ist, was eine Feder ist. Und jetzt versuche ich, durch dieses Wissen das Töten zu vernichten und zu erreichen, dass Friede in meinem Land herrscht.«

    So schlicht, naiv oder rührselig für abgebrühte Ohren solche Zeilen auch klingen mögen, hier malen und schreiben Kinder, die zu keinem Zeitpunkt ihres Lebens das erlebt haben, was den Namen »Frieden« verdient – keinen gefahrlosen Alltag, keine Sicherheit des Schulwegs oder -aufenthalts, kein ungefährdetes Familienleben, keine gesicherte Zukunft. Auch die Wünsche der Kinder haben einen einzigen Fluchtpunkt, ihre Rhetorik hat ein einziges wiederkehrendes Motiv: dass Frieden sei, und dies bleibt die Grundvoraussetzung für alle anderen Bilder eines glücklichen Lebens. Die Siebtklässlerin Minija Abdulschukur beschreibt ihren Alltag:
    »Wir sind zwölf Personen in meiner Familie. Wenn ich morgens aufwache, bete ich zuerst. Anschließend gehe ich in die Moschee, dann frühstücke ich und mache mich auf den Schulweg. Danach erledige ich die Hausarbeiten. Nachmittags bringe ich die Kuh zur Weide. In der Nacht lerne ich unter der Öllampe. Ich habe keine glücklichen Erinnerungen an mein Leben. Das einzig Schöne ist, dass ich Schülerin bin. Ich liebe den Frieden.«
    Oder: »Ich heiße Qajamudin Khan Mir und bin im sechsten Schuljahr der Schule in Kunduz. Meine Lebensgeschichte kann ich so beschreiben, dass mein Vater sehr arm war. Wir stammen aus einer Bauernfamilie. Eines Tages ist mein Vater auf den Basar gegangen, um eine Kuh zu kaufen. Mein zwölfjähriger Bruder war bei ihm. Als sie zurückkamen und sich mit der Kuh unserem Dorf Kalai Gau näherten, kam ein Mann mit einer Waffe und erschoss meinen Vater. Mein Bruder sagte zu ihm: ›Ich kenne dich‹, und da brachte er auch ihn um. Nun sieht mein Leben so aus: Nachdem ich aufgestanden bin, bete ich und füttere die Kuh. Ich habe ein schwarzes Leben, denn der Druck lastet sehr auf mir, und ich finde nur wenig Zeit zum Lernen. Aber was soll ich machen, ich habe keine andere Wahl. Ich bin gezwungen, diesen Druck zu ertragen. Obwohl

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