Es wird Dich rufen (German Edition)
den Abbé Saunière in einer Kopie an den Eingang seiner Kirche gestellt hatte.
Skeptisch schien er die beiden Männer zu beäugen, die den unterirdischen Raum soeben betreten hatten, als wolle er aufpassen, dass keiner etwas von seinem Schatz entwendet.
»Das muss ja Millionen wert sein«, bemerkte Mike, der die Schätze ungläubig anstarrte. Alles wirkte vollkommen irreal. So unwirklich wie in einem Traum. Und doch war er hellwach. Er konnte die Münzen, die goldenen Ketten, Juwelen und Diamanten anfassen. Sie waren wirklich da. Er spürte sie zwischen seinen Fingern.
Nun wusste er also, wie es sich anfühlte, wenn man sich plötzlich inmitten eines riesigen Schatzdepots wiederfand. Es war ein seltsames Gefühl, das er nicht einzuordnen vermochte.
»Deshalb also sagte Saunières Haushälterin, dass die Menschen von Rennes-le-Château auf purem Gold wandeln und es nicht wissen«, begriff Mike.
»Das ist nur ein Teil der Schätze der Merowinger«, erklärte der Großmeister. Ihn selbst ließ der Anblick des ganzen Goldes kalt. Zu oft schon war er hier unten gewesen.
»Das ist fantastisch«, sagte Mike. »Was passiert damit?«
»Nichts«, antwortete der Großmeister.
»Das kann ich kaum fassen! Man könnte damit doch so viel Gutes auf dieser Welt bewirken.«
»Vielleicht könnte man das«, sagte der Großmeister. »Auf den ersten Blick. Wenn du aber hinter die Dinge schaust, dann weißt du, dass es stimmt, wenn man sagt, dass Geld alleine nicht glücklich machen kann. Materielle Werte können ab einem gewissen Zeitpunkt die Menschen verderben. Sie ersticken daran, weil sie raffgierig werden. Sie ziehen sich zurück, versuchen alles, um ihren Schatz vor den anderen in Sicherheit zu bringen und vergessen dabei das Einzige, auf das es im Leben wirklich ankommt: die Liebe zum Nächsten und das gemeinsame Miteinander, ohne das der Mensch nichts wert ist.«
»Das könnte mir nicht passieren«, bemerkte Mike, der sich dessen sicher war. Der Großmeister kommentierte diese Aussage allerdings lediglich mit einem wissenden und zugleich sanftmütigen Lächeln.
50
Boone und der General hatten Jean in einem der hinteren Räume des Kellergeschosses eingeschlossen. Er war an Händen und Füßen auf ein spartanisches, nur notdürftig mit einer alten Matratze ausgestattetes Holzbett gefesselt. Es war unmöglich, dass sich Angestellte des Hotels oder gar einer der Gäste hierhin verirrten. Dieser Bereich gehörte zum privaten Trakt, zu dem niemand Zugang hatte, außer ihnen.
»Was ist los?«, erkundigte sich der General, als er in Jeans Gefängnis eintrat. Boone hatte ihn kurz zuvor gerufen. In dem kleinen Raum, der nur kärglich eingerichtet war, war es kühl und muffig.
Ein kleiner Schemel stand neben dem Bett. Boone stützte seinen rechten Fuß darauf ab, während er den Wächter überlegen ansah.
»Er wird langsam schwach und bleibt dennoch ein alter Trotzkopf«, sagte Boone, mit sich und seinen Methoden zufrieden. »Lassen Sie unseren Freund an Ihrem Humor teilnehmen und wiederholen Sie bitte noch einmal, was Sie mich soeben gefragt haben!«
»Sie sollen mir endlich sagen, was Sie von mir wollen«, fluchte Jean. Seine Lage wühlte ihn auf. »Seit Stunden halten Sie mich hier fest und wir sind keinen Millimeter weitergekommen.«
»Mein Gott, ist er nicht goldig?«, spottete Boone.
»Sie wissen genau, was ich möchte«, wiederholte der General, was er schon geraume Zeit vorher vom Wächter gefordert hatte. »Sie sagen mir, wo ich den Gral finde und schon sind Sie ein freier Mann.«
»Ich bin in meinem Alter nicht mehr naiv, General. Sie würden mich niemals freilassen. Aber ganz abgesehen davon: Was würde es Ihnen bringen, wenn ich es Ihnen sage?«
»Das geht Sie nichts an!«, sagte der General.
»Dann sage ich es Ihnen. Sie brauchen ihn, weil sie ihn mit der Lanze zu vereinigen versuchen. Der Gral würde ihnen jedoch nichts nutzen!«
»Halten Sie mich nicht zum Narren, alter Mann. Was erzählen Sie da?«, wollte der General wissen.
»Hören Sie nicht auf ihn«, riet Boone. »Merken Sie nicht, dass er dummes Zeug faselt, um Sie zu beeindrucken?«
»Seien Sie still, Boone«, widersprach der General forsch. »Ich will hören, was er zu sagen hat.«
»Den Gral kann nur der Demütige nutzen! Sie sollten das wissen.« »Geschwätz!«, schimpfte Boone. »Das ist doch nur diese Art von altem, dummen Aberglauben, den Sie und Ihre Leute seit mehreren Jahrhunderten verbreiten. Kein vernünftiger Mensch würde darauf
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