Es wird Dich rufen (German Edition)
dass sie nun tiefe Angst habe – sowohl um Mike als auch um ihren Vater.
Fast eine ganze Stunde lang redete sie so auf ihn ein. Mike verfolgte jedes einzelne Wort aufmerksam.
»So – und jetzt wirst du mir sicherlich sagen, dass ich für immer aus deinem Leben verschwinden soll«, endete sie ihren langen Monolog.
»Nein, das tue ich nicht.« Mike bat sie, sich neben ihn auf das Bett zu setzen. »Ich finde es mutig von dir, dass du es mir gesagt hast.«
Zum ersten Mal erkannte er in ihrem Handeln so etwas wie Verantwortung. Feline schien ein Stück erwachsener geworden zu sein. Für das Tun ihres Vaters konnte sie nichts. Die Entscheidung, nicht zu schweigen, hatte sie jedoch selbst getroffen und das nötigte Mike einen gewissen Respekt ab.
»Verstehst du mich? Ich will meinem Vater helfen. Doch ich weiß nicht, wie. Er ist kein schlechter Mensch. Das musst du mir glauben. Auch wenn er in letzter Zeit ziemlich viel dummes Zeug gemacht hat!«
»Trotzdem müssen wir ihn aufhalten«, sagte Mike ruhig.
»Ja, das verstehe ich ja auch irgendwie«, versicherte Feline. »Ich fühle mich einfach nur beschissen. Egal, was ich tue, es ist falsch.«
»Ich kenne einen guten Freund, der uns vielleicht helfen kann«, schlug Mike vor. »Wir sollten mit ihm reden.«
Feline schien einverstanden. Was hätte sie auch anderes tun sollen – abgesehen davon, Mike zu vertrauen.
»Wir werden ihn morgen treffen«, versprach er. »Lass uns aber erst mal schlafen gehen. Wir haben beide viel durchgemacht.«
»Darf ich bei dir bleiben?«, fragte sie unsicher. »In das Hotel meines Vaters will ich nicht mehr. Ich habe Angst vor diesem Boone. Wenn er wüsste, wo ich bin und dass es dir gut geht, würde er uns beide wahrscheinlich sofort umbringen.«
Sie musste an ihre erste Begegnung mit Boone denken, als sie ihn auf dem Parkplatz von Rennes-le-Château getroffen hatte. Damals glaubte sie noch, es handle sich bei ihm lediglich um einen arroganten Schnösel, der mit unlauteren Methoden der Einschüchterung seiner Kontrahenten arbeitete. Wie gefährlich er tatsächlich war, das war ihr erst heute Morgen bewusst geworden. Es war offensichtlich besser, sich nicht mit ihm einzulassen.
»Ich kann auf dem Gästebett schlafen«, bot Feline an. »Hauptsache, ich darf bleiben.«
Sie machte sich gerade auf den Weg zu Caroline, um sie nach dem nötigen Bettzeug zu fragen, als Mike sie zurückhielt.
»Das ist nicht nötig«, sagte er.
»Bist du dir sicher?«, erkundigte sich Feline überrascht.
»Wenn man dem Tod einmal so nahe gegenübergestanden hat, wie ich es getan habe, dann überdenkt man gewisse Dinge«, erklärte Mike. »Man fängt dann plötzlich an, nicht mehr dem nachzutrauern, was verloren ging, sondern schaut nach vorne. Es ist wie eine zweite Chance, ein neues Leben, das begonnen hat.«
»Hast du etwas dagegen, wenn ich mich an dich kuschle?«, fragte sie leise, nachdem sie beide unter das Laken gekrochen waren. Er auf der linken, sie auf der rechten Seite des Bettes.
Mike schwieg und öffnete ihr seinen Arm, in dem Feline erschöpft und sich sicher fühlend einschlief.
52
»Bist du auch wirklich überzeugt, dass wir das Richtige tun?«, fragte Feline, als sie am folgenden Morgen gemeinsam mit Mike vor der Villa Bethania eintraf.
Er hatte sie dazu überredet, mit dem Großmeister der »Bewahrer des Lichts« über all das zu sprechen, was sie auch ihm schon anvertraut hatte – obwohl Feline während des Frühstücks noch einmal starke Zweifel gekommen waren, ob diese Entscheidung tatsächlich richtig sei. Schließlich musste sie dem Großmeister eines Ordens gegenübertreten, der unter ihrem Vater zu leiden hatte. Dass es sich bei dem Großmeister in Wahrheit um Walter Stein handelte, mit dem sie als Fremdenführerin früher schon in Rennes zu tun gehabt hatte, das hatte Mike zunächst bewusst verschwiegen.
»Vielleicht wird er mich bestrafen wollen?«
»Nein, das wird er nicht. Er ist ein gütiger Mann und mein Freund.« »Auch wenn er erfährt, was ich weiß?«
»Ich kann nur wiederholen, was ich dir gestern schon gesagt habe: Niemand wird dich für die Fehler deines Vaters verantwortlich machen können.«
»Ich hoffe es. Sehr!«
Über das Museum gelangten Mike und Feline in die öffentlich zugänglichen Räume von Abbé Saunières Villa. Vor einer der Türen, an der ein Schild mit der Aufschrift »privé«, privat, angebracht war, blieben sie stehen.
Mike klopfte gegen die Tür, die der Großmeister wenig später
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