Es wird Dich rufen (German Edition)
»Der große Trubel ist ausgeblieben. Ich hatte ein gutes Gespräch mit dem Ministerpräsidenten. Er geht jetzt davon aus, dass ein Praktikant dir übel mitspielen wollte und du unschuldig bist. Wir haben die Sache bei einem Glas Wein in der Staatskanzlei aus der Welt geräumt.«
»Gott sei Dank!« Das war eine gute Nachricht. »Hör mal, Walter, weshalb ich dich anrufe… Ich habe hier zwei lateinische Texte, die ich nicht übersetzen kann. Könntest du, als alter Latein-Profi, mir eventuell weiterhelfen?«
»Ich kann es zumindest versuchen«, sagte Stein.
»Danke! Ich schaue, ob ich sie dir von hier aus faxen kann. Dann hast du sie morgen früh auf dem Tisch.«
»Worum geht’s denn?«
»Es scheint mir eine Geschichte aus dem Neuen Testament zu sein. Sicher bin ich mir dabei aber nicht.«
»Schick sie mir rüber!«, forderte ihn der Chefredakteur erleichtert auf. Wahrscheinlich, weil er erkannt zu haben glaubte, dass Mike sich wieder auf dem Weg zu alter journalistischer Stärke befand. »Auch wenn ich dein plötzliches Interesse für religiöse Texte noch nicht ganz nachvollziehen kann.«
»Das erkläre ich dir später, Walter!«, versprach Mike. »Kann sein, dass ich hier auf eine abenteuerliche Geschichte gestoßen bin.«
Mike hoffte nun inständig, dass das Hotel ein Faxgerät besaß. »Dann wünsche dir noch ein paar schöne Tage«, empfahl sich Stein.
Er schien es offenbar eilig zu haben. »Und sobald du wieder im Lande bist, meldest du dich wieder an deinem Arbeitsplatz. Es gibt schließlich viel zu tun! Die Kollegen meutern schon.«
»Versprochen!«
Mike verabschiedete sich ebenfalls und legte auf.
Es hatte gutgetan, eine vertraute Stimme aus der Heimat zu hören.
Jetzt würde das heiße Bad sein Übriges tun, diesen interessanten und ebenso erfreulichen Tag ausklingen zu lassen.
6
»Unfähig!«, tobte der in einen vornehmen schwarzen Anzug gekleidete General auf der Terrasse seiner Villa. Im Hintergrund glitzerte das Wasser des Luganer Sees, in dessen Wellen sich die letzten Strahlen der untergehenden Sonne spiegelten.
»Ihr seid alle komplett unfähig!«, brüllte er. »Womit habe ich es verdient, mit solchen Vollidioten zusammenarbeiten zu müssen?«
»Tut uns leid, Chef«, meldete sich einer der beiden Männer kleinlaut zu Wort, die vor dem wütenden General standen. »Wir konnten doch nicht ahnen, dass …«
»Halt´s Maul«, giftete der General. »Kann mir einer von euch Witzbolden vielleicht erklären, was ich jetzt den Brüdern sagen soll? Etwa, dass ein unfähiges Pack alles vermasselt hat – mit dem schönen Erfolg, dass jetzt nicht wir, sondern die Gendarmerie von Rennes im Besitz der Papiere ist?«, fluchte er. »Na bravo, meine Herren! Das haben Sie wirklich sehr gut hingekriegt!«
Die Wut des Generals kam nicht von ungefähr. Er wusste zu gut, was mit den Leuten passierte, die aus Sicht der Bruderschaft versagt hatten. Und letztlich war er es, der für diese ganze Sache zur Verantwortung gezogen werden würde. Niemand würde sich dann noch daran erinnern, dass er es war, der diese ganze Sache überhaupt wieder ins Rollen gebracht hatte – wenn auch nicht ganz uneigennützig.
Dabei hatte er den beiden Männern, die er nach der missglückten Aktion in Frankreich zu sich zitiert hatte, ausdrücklich gesagt, sie sollten den Priester nur observieren, darauf achten, dass und wann er die Papiere bei sich hatte, um diese dann in einem unbeobachteten Moment entwenden zu können. Mehr nicht!
Der General ärgerte sich vor allem über sich selbst. Wie konnte er sie nur engagieren – für eine solch heikle Mission? Wer würde noch danach fragen, von wem er diese angeblichen Profis empfohlen bekommen hatte, wenn die Bruderschaft ihr Urteil über ihn fällte. Keiner! Dabei hatte sie ihm erst kürzlich das für ihn und seinen Plan so wichtige Vertrauen ausgesprochen. Er war der Einzige, der ihr gemeinsames Ziel umsetzen konnte, nachdem dieses ein halbes Jahrhundert zuvor an der Eitelkeit und der Stümperhaftigkeit einzelner Führungspersonen gescheitert war.
Der Plan vom neuen Reich unter der Herrschaft des Ordens, geführt von einer Organisation, die sich als ihr militärischer Arm verstand, war misslungen. Das durfte nicht noch einmal passieren.
»Wie unprofessionell kann man in diesem Geschäft eigentlich sein, meine Herren?«
»Aber er hatte die Papiere nicht bei sich und wir mussten verhindern, dass er vor uns in die Kneipe zurückgeht, sonst hätte er sie doch
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