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ESCORTER (German Edition)

ESCORTER (German Edition)

Titel: ESCORTER (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Millman
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sank und das Blut verdickte sich. Für jemanden mit verstopften Arterien endete der Versuch, sich mit einem Schatten zu verbinden, tödlich. Der Jüngling sog schwer die Luft in seine Lungen. »Desoderia«, keuchte er. Es klang panisch.
    »Bleib ganz ruhig«, beschwor Desoderia ihn, »gleich ist es vorbei.«
    Gerne hätte Caligo geschmunzelt und anschließend resigniert geseufzt, weil sich der Kreislauf des Jungen langsam stabilisierte. Desoderia wühlte in einer Tasche herum und zog eine Fotografie und eine ramponierte Stoffpuppe hervor. »Hier, zeig ihm das, dann wird er sie finden.«
    Eine Suche. Wie aufregend. An dem Geruch erkannte er sofort, dass es sich um eine ganz außergewöhnliche Person handeln musste. Der Jüngling ergriff die Sachen und betrachtete sie. Caligo schob sich an der Decke entlang und senkte sich über seine Schulter auf ihn hinab. Der Jüngling zuckte erschrocken zusammen.
    »Der Schatten bewegt sich eigenständig«, erklärte Desoderia. »Daran wirst du dich gewöhnen müssen.«
    »Wird er auch bei mir sein, wenn ich schlafe?«, fragte der Jüngling und warf Caligo einen misstrauischen Blick zu.
    Desoderia schmunzelte. »Er wird immer da sein, selbst wenn du auf Toilette gehst oder dir einen runter holst. Er ist ein Teil von dir.«
    Mit dem Zeigefinger rieb sie über ihre Lippen und blickte versonnen in die Ferne. »Es kann sogar sehr anregend sein, wenn er dabei ist.«
    Oh ja. Caligo erinnerte sich. Sie und Philippe. Die unangenehme Hitze und das Gestöhne, wann immer sie aufeinandertrafen. Und das war leider nur allzu oft gewesen. Er war ein Schattendämon und seine Existenz ein Fluch, weil die Escorter ihn, im Gegensatz zu den anderen Dämonen, bannen konnten, selbst wenn er nicht an einen menschlichen Körper gebunden war.
    Der Jüngling hielt die Fotografie vor sein Gesicht, betrachtete das Mädchen darauf. »Ihr Name ist Doreé«, sagte Desoderia und blickte zu ihm auf. »Wirst du sie finden?«
    Caligo verinnerlichte das Bild und auch den Duft, der von der Stoffpuppe ausging. Ein Duft, den er noch nie zuvor gerochen hatte. Lieblich und rein, durchsetzt von Dunkelheit und Licht. Eine seltsame Kombination. Ihre Spur zu finden würde einfach sein, so intensiv und andersartig strahlte sie von allem ab. Schon konnte er die hauchfeinen Linien erkennen, die sich wie ein Gespinst aus hellen Fäden vor ihm ausbreiteten. Es drängte ihn regelrecht danach, sie zu finden, seine Schattenfinger um ihren Körper zu wickeln und ihre lichtdurchflutete Wärme in sich aufzunehmen.
    Desoderia reichte dem Jüngling einen Dolch. Unmut huschte über ihr Gesicht, als hätte sie kürzlich etwas Wertvolles verloren. »Es ist zwar kein Zwillingsdolch, aber er ist verteufelt scharf.«
    Der Jüngling nahm ihn an sich und betrachtet ihn ehrfürchtig. »Danke.«
    »Und vergiss nicht. Sollte meine Tochter sich tatsächlich bei den Gideonisten befinden, dann ruf uns an. Tu nichts auf eigene Faust, hast du verstanden?«
    Er nickte. »Ja, hab ich.«
    Caligo huschte über die Wand und folgte dem leuchtenden Gespinst. Das Mädchen war gar nicht so fern. Er fühlte ihre Gegenwart. An der Tür zur Gruft hielt er frustriert inne. Ohne die Erlaubnis seines Trägers konnte er den Raum nicht verlassen. Er ruckelte ein wenig und versuchte, die Aufmerksamkeit des Jungen zu erregen, und ihn zum Gehen zu bewegen.
    Desoderia lachte. »Du solltest los, Olaf. Dein Schatten ist ungeduldig. Er will auf die Jagd.«
    Eins musste Caligo dieser Frau lassen. Sie mochte eine verräterische Schlampe sein, aber sie verstand seine Wünsche verdammt gut.

 
     
     
     
15
     
    Fünf Jahre lang hatte Jakob das Haus nicht mehr verlassen, hatte die Welt außerhalb seiner vier Wände gemieden. Fünf lange Jahre. Als er nun zitternd und schwitzend in Irinas VW-Polo stieg, erschien ihm die Welt schrecklich laut und hektisch und viel gefährlicher als die Stimmen in seinem Kopf.
    Edith hatte ihm alles erzählt, sogar dass sie von seiner Mutter dazu gezwungen worden war, ihn bei sich aufzunehmen und dies auch noch zu verheimlichen. Zugleich hatte sie beteuert, wie sehr sie ihn liebte und dass er über die Jahre hinweg wie ein eigener Sohn für sie geworden war.
    Edith log nicht, also hatte er ihre Worte geglaubt. Da seine Pflegemutter nicht annahm, dass er es wagen würde, die Wohnung zu verlassen, hatte sie ihn wieder alleine gelassen mit seinen Zwängen und dem starren Tagesablauf. Doch ihre Offenbarung war ihm nicht mehr aus dem Kopf gegangen.

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