ESCORTER (German Edition)
Doreé inne. Der Barmann, ein hagerer Kerl mit einem langen Pferdeschwanz, der nur mit einer Weste und Jeans bekleidet war, lehnte mit vor der Brust verschränkten Armen am Tresen und tat, was alle taten. Er beachtete sie nicht, sog nur den Atem ein, als würde er einen undefinierbaren Duft wahrnehmen.
Doreé sah sich um, suchte nach Gäap. Würde sie ihn überhaupt erkennen? Eine zwergwüchsige, weißhaarige Frau trat an ihre Seite und bestellte ein Getränk. Der Barmann bediente sie sofort. Nicht unbedingt eilfertig setzte er sich brummend in Bewegung. Keine Minute später stand die Bestellung auf der Theke. Die Zwergenfrau reckte sich und versuchte, das mit einer rostroten Flüssigkeit gefüllte Glas zu ergreifen. Ihre Finger reichten kaum über die Theke. Mit den Fingerspitzen stupste sie das Glas Richtung Rand.
Aus einem Impuls heraus wollte Doreé helfen und ihr das Getränk reichen, wich im letzten Augenblick jedoch erschrocken zurück. Keine gute Idee. Die Zwergenfrau hüpfte und gab dem Glas einen kräftigen Schubs, woraufhin es zur Seite kippte und seinen Inhalt über die Theke und Doreés Kleid ergoss.
»Scheiße«, stieß Doreé hervor und wich zurück.
In der Bar wurde es schlagartig still. So still, dass Doreé hören konnte, wie die Flüssigkeit über den Rand auf den Boden tropfte. Mit vor Entsetzen weit aufgerissenen Augen sah sie sich um. Jeder einzelne Gast starrte sie an. Jeder!
Der Barmann richtete sich zu seiner vollen Größe auf, die beachtlich war, und zischte: »Ein Mensch.« Seine Augen weiteten sich vor Gier. Eine lange, gespaltene Zunge stahl sich zwischen seinen Lippen hervor, züngelte über sein Gesicht. Sein Gesicht. Es veränderte sich. Die Konturen schrumpften in der Breite und streckten sich in die Länge. Doreé stieß einen erschrockenen Laut aus, wich zurück und blickte sich hektisch um.
Überall um sie herum begannen die Dämonen, ihre menschliche Haut abzustreifen und sich in ihrer wahren Form zu zeigen. Die Zwergenfrau blähte sich auf wie ein Kugelfisch. Lange Stacheln sprossen aus ihrem Kopf und den Gliedmaßen. »Aaaah«, fiepste sie mit hoher Stimme. »Aaaaah, aaaaah.«
Ängstlich presste Doreé sich gegen den Tresen, suchte nach einem Ausweg, einer Lücke, durch die sie hindurchhuschen konnte. Fratzen, Klauen, Hörner, Zähne und Fell, wohin sie auch blickte. Ihr Verstand wollte sich ausschalten, die schrecklichen Wesen ausblenden. Schon trübte sich ihr Gesichtsfeld. Die Ohnmacht war nahe.
Auf keinem Fall durfte sie jetzt die Besinnung verlieren, das wäre ihr Ende. Das Blut rauschte in ihren Ohren, übertönte selbst das Knurren, Gackern, Keuchen und Zischen um sie herum. Eine Vielzahl von Lauten aus einer Vielzahl von Kehlen überrollte sie. Die Gier der Dämonen erhitzte den Raum wie eine unsichtbare Sonne. Die Gier nach ihrem Körper, ihrem Blut, ihrer Menschlichkeit. Von allen Seiten drangen die Wesen auf sie ein, zogen den Kreis enger und enger, bis sich jede Aussicht auf Entkommen verflüchtigte.
»Gäap«, stieß sie verzweifelt hervor. »Ich suche Gäap, den geflügelten Hengst. Ich soll mich mit ihm verbinden.«
Etwas riss an ihrem Bein. Ein großer, zotteliger Bärendämon grub seine Krallen in ihren Rücken. Sein heißer, stinkender Atem streifte ihr Ohr. Eine lange Zunge zuckte über ihr Haar, leckte an ihrem Gesicht. Wimmernd klammerte sie sich an der Theke fest, über die nun der Barmann kroch, um ebenfalls nach ihr zu greifen.
»Bitte« war alles, was sie noch sagen konnte. »Bitte nicht.«
Nur noch halb bekam sie mit, dass sich die Tür öffnete. Plötzlich erfüllte Rauschen die Luft, ein Sturm peitschte durch den Raum, während ein unmenschlicher Schrei die Wände zum Erbeben brachte. Doreé presste die Hände auf die Ohren und sank in die Knie.
* * *
Warme Luft streifte Doreés Gesicht. Blinzelnd schlug sie die Augen auf. Sie lag auf dem Boden vor der Bar. Über ihr kniete ein Mann, der einem Märchen aus 1001 Nacht entsprungen zu sein schien. Sein schulterlanges Haar war so schwarz, dass es glänzte. Tief liegende Augenbrauen über schwarzen Augen. Pupillen, umrahmt von einem roten Kranz, ein Zugeständnis an seine dämonische Gestalt. Eine gerade Nase und ein markantes Kinn. Die Wangen glattrasiert und doch schattig von der Ahnung eines dunklen Bartes. Er war ganz in Weiß gekleidet. Schattenhaft wuchsen Schwingen aus seinem Rücken, ohne feste Form, ein Nachhall seines ursprünglichen Körpers. Er sah aus wie ein
Weitere Kostenlose Bücher