Eskandar: Roman (German Edition)
Tuch von der Schulter, schlägt damit den Staub vom Platz neben Eskandar-Agha und setzt sich. Sie gestatten? Mein Freund, Sie gefallen mir, und deswegen werde ich Ihnen jetzt ein Geheimnis verraten. Die meisten unserer Gäste sind Reisende aus dem ganzen Land, sogar die Farangi von der Raffinerie kommen zu mir. Mal mit ihren Familien, mal allein. Sie mögen es, wie wir auf dem Boden zu essen. Ein paar von ihnen habe ich sogar beigebracht, mit der Hand zu essen. Ich glaube, das ist eine Art Abenteuer für sie, sagt der Wirt nachdenklich.
Es ist ein Abenteuer, wenn man mit der Hand isst?, fragt Eskandar-Agha mit vollem Mund.
Menschen sind unterschiedlich, sagt der Wirt. Was für den einen ein Abenteuer ist, ist für den anderen Alltag. Und so ist auch der Geschmack von Menschen unterschiedlich. Die Leute aus dem Norden mögen es lieber mild, die aus dem Osten mehr pikant, die aus der Hauptstadt haben lieber nicht so viel Soße mit ihrem Reis. Und die Ausländer vertragen nur mildes Essen, weil ihr Magen auf Fett und Scharfes nervös reagiert. Also gibt es bei uns zwar keine Auswahl, sondern täglich nur ein Essen, aber dafür haben wir es auf die unterschiedlichen Regionen, Geschmäcker und Mägen unserer Gäste abgestimmt.
Das habe ich noch nie gehört, sagt Eskandar-Agha. Und wie machen Sie es mit jemandem wie mir? Sie haben mich nicht gefragt, woher ich komme, und trotzdem meinen Geschmack besser getroffen, als ich selber ihn hätte beschreiben können.
Sie gefallen mir, sagt der Wirt, zufrieden mit seinem Gast, als hätte er eine Prüfung bestanden. Meine Augen und meine Ohren erkennen den Ort, aus dem meine Gäste kommen und welchen Geschmack sie haben. Und wenn ich mich mal irren sollte, dann muss der Gast seine erste Portion nicht bezahlen.
Geben Sie es zu, bei mir wissen Sie nicht, woher ich komme, stellt Eskandar-Agha mit Genugtuung fest.
Warum soll ich lügen, Agha? Es ist mir die zweite Portion wert, wenn Sie es mir sagen. Aber lassen Sie mich zuerst raten. Ihrem Aussehen und Ihrer dunklen Haut nach zu urteilen, sind Sie nicht weit von hier geboren worden. Sie sprechen nicht unseren arabischen Dialekt, sondern den der Leute aus der Hauptstadt. Andererseits höre ich auch die Sprache der Leute aus Schiras heraus und dann wiederum den türkischen Singsang der Menschen aus dem Norden unserer Heimat.
Sie sind ein wahrer Meister, sagt Eskandar-Agha anerkennend. Mit allem haben Sie recht. Ich bin unweit von hier in diese Welt gekommen und habe in allen anderen Orten, die Sie genannt haben, gelebt.
Sie gefallen mir, wiederholt der Wirt, und Sie können so viele Fotografien von mir und meinem Lokal machen, wie es Ihnen gefällt. Und jetzt strecken Sie die Beine aus. Es ist kaum noch jemand hier. Schlafen Sie, danach bringe ich Ihnen einen frischen Tee, und Sie können nicht nur gesättigt, sondern auch ausgeruht Ihrer Arbeit nachgehen.
Nun hat die weite Reise sich auch für mich gelohnt, murmelt Eskandar-Agha, rutscht tiefer in die Sitzpolster und Kissen und fällt in einen erholsamen Nachmittagsschlaf. Er träumt, dass er im wunderbarsten aller Gärten auf seidenen Kissen und Polstern ruht. Wie der Prophet es jedem rechtschaffenen Moslem und allen voran den Märtyrern in Aussicht stellt, stehen zweiundsiebzig und mehr hübsche Jungfrauen eigens zu seinen Diensten und für sein Vergnügen bereit. Auch wenn Eskandar-Agha ihre Gesichter und Körper nicht sieht, ist er sicher, sie sind die schönsten aller Frauen. Immer, wenn eine an ihm vorübergeht, steigt ihr märchenhafter Duft in seine Nase, überlagert alle Bilder und Erinnerungen, wird mächtiger und übermächtig und weckt ihn schließlich auf.
Noch während Eskandar-Agha zu sich kommt, bemerkt er die Gruppe Frauen, die es sich gerade in der hintersten Ecke bequem macht. Eskandar-Agha gähnt und streckt sich nur ein wenig, um keine Aufmerksamkeit zu erregen. Er genießt den Duft, der von den Frauen zu ihm herüberweht, sich auf ihn legt wie eine Hand, ihn zudeckt wie ein leichtes Tuch. Er atmet ihn tief ein, will ihn bei sich behalten, solang es geht, als er sich mit einem Mal erinnert, dass es der Duft der schönen Mahrokh-Khanum ist. Und im nächsten Moment glaubt Eskandar-Agha auch, aus dem Stimmengewirr der Frauen tatsächlich die Stimme von Frau-Mahrokh herauszuhören. Vorsichtig dreht er sich zu den Frauen um. Ein kalter Schauer läuft ihm über den Rücken, denn sie ist es. Eskandar-Agha erschrickt so sehr, dass ein stechend scharfer Schmerz in
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