Esper unter uns
herzlich. Sie war Ende dreißig, aber immer noch von fast elfenzarter Figur. Der untersetzte Sid mit dem schütteren blonden Haarkranz streckte Victor grinsend die Hand entgegen.
Hinter den beiden, durch die Fenster des Aufenthaltsraums, konnte er eine Zahl ihm fremder Gesichter sehen. Sie gehörten den gegenwärtigen Psiinitianden an, die bereits durch Barbara Morays Londoner Büro geschleust worden waren – Menschen an der Schwelle eines neuen Lebens, die hier unter der Führung einiger der ständig hier wohnenden Adepten lernten, ihre Psikräfte zu entwickeln.
Sein Verlust wurde ihm nun verstärkt bewußt. In seinem gegenwärtigen Zustand der Impotenz war er unfähig, die Atmosphäre des Psifriedens und Verständnisses dieses Hauses aufzunehmen, und schlimmer noch, er konnte dem blitzschnellen Gedankenaustausch der anderen nicht folgen, der trotz ihres sorgfältig aufrechterhaltenen Redeflusses zweifellos stattfand. Er fragte sich, was sie wohl über ihn sagten – und was sie von dem Grund seines Besuchs hier hielten.
Wütend schob er diese Überlegungen von sich und folgte den anderen in Becky Schofields Zimmer. Wie immer bei einem Treffen saßen die fünf des Inneren Rates um das Bett. Katie und Sid links von Becky, die Morays rechts, und Victor allein am Fußende, mit dem Rücken zum großen Fenster mit dem Ausblick zu den fernen, schneebedeckten Gipfeln.
Becky lehnte gegen die Kissen gestützt in dem riesigen Bett, ein winziges, geschrumpftes Figürchen mit schneeweißem Haar und kompromißlosem scharfem Gesicht mit lebendigen kohlschwarzen Augen. Als Victor sie begrüßt hatte, war er erschrocken über ihren Verfall seit seinem letzten Besuch. Er zweifelte nicht daran, daß Becky im Sterben lag. Den Jahren nach war sie noch keine alte Frau mit ihren kaum sechzig Jahren, auch litt sie an keiner ernstlichen Krankheit. Wenn es überhaupt etwas gab, das man für ihren Verfall verantwortlich machen konnte, dann nur ihre zunehmende Gleichgültigkeit gegenüber den physischen Bedürfnissen ihres Körpers, dessen Vitalität durch ein Leben konzentrierter Erforschung der Tiefen des Psiuniversums zuhöchst beansprucht worden war. Sowohl Victor als auch Peter hatten sie oft gebeten, ihr doch mit ihrem Heiltalent helfen zu dürfen, aber sie hatte das Angebot immer mit dem Hinweis, daß sie es nicht brauchte, abgelehnt.
Jahre früher hatten sie diese selbe Gleichgültigkeit in Toby, Sids Zwillingsbruder, erlebt. Nur Becky war in sporadischer Verbindung während dieser letzten Monate seines Lebens mit Toby geblieben, dessen Körper wie eine träumende goldhaarige Puppe im Bett lag, während sein Geist mit wachsender Freiheit durch das zeitlose Jetzt der vierten Ebene wanderte. Als er schließlich dem Ruf gehorchte, der nicht länger zu überhören war, und die nur noch schwache Verbindung zwischen Geist und Körper ganz zerriß, um mit dem Muttermeer des Bewußtseins zu verschmelzen, das jenseits der vierten Ebene lag, wäre Becky ihm gefolgt, hätte sie sich nicht verpflichtet gefühlt, die Arbeit fortzusetzen, die nur sie durchführen konnte.
Seit Portfield und den ersten schwankenden Schritten in das unbekannte Land des Geistes hielt Becky an ihrer klaren Vision des Psimilleniums fest. Richard Havenlake, der einzige Mann, den sie je liebte, war gestorben, denn obgleich er selbst über nicht die geringste Psifähigkeit verfügte, hatte er doch die potentielle Größe von Beckys Erleuchtung erkannt. Er hatte den einzigen Beitrag dazu geleistet, der ihm möglich war, und sein Leben geopfert, um ihren Traum zu bewahren, indem er den skrupellosen Geheimdienstchef tötete, der sonst die Psimenschen gezwungen hätte, für ihn zu arbeiten.
Der Quasisensoriums-Kommunikations-Verband bestand auf zwei verschiedenen Ebenen. Sein öffentliches Ansehen war das einer spleenigen Organisation, die sich mit Dingen wie psychischen Forschungen, UFO-Untersuchungen und Okkultismus in breiterem Sinn befaßte. Über zwanzig Jahre hatte der Verband eine große Zahl Dilettanten und eine kleine echt der Sache ergebene Leute angezogen. Die Majorität der Mitglieder war völlig ohne Psibegabung. Viele von ihnen waren einsame Menschen in einer verwirrenden neuen Welt, auf der Suche nach etwas, an das sie glauben konnten. Diese Mitgliedschaft sorgte für eine Fassade, hinter der sich die Tätigkeit des inneren Kreises – inzwischen zu etwa hundert Adepten angewachsen – verbergen konnte.
Alle Adepten hatten den Eid geleistet, die Gebote
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