Essen kann jeder
Menschen weniger anfällig? Lag es am Bewusstsein, trotz Einschränkungen im Konsumverhalten ideo logisch auf der besseren Seite zu stehen? Stärkt die Lektüre von Marx und Engels nicht nur das Klassenbewusstsein, sondern auch das Immunsystem? Möglich. Vielleicht waren die DDR-Bürger einfach ein bisschen entspannter, wenn es um ihr Essen ging, weil sie im Leben größere Probleme hatten.
Nähern wir uns der Sache mal medizinisch. Für eine allergische Reaktion muss in der Regel ein Antigen vorhanden sein, also ein Stoff oder Partikel, auf den das Immunsystem mit Ausschlägen, Asthma, Bindehautentzündung, Schock etc. antwortet. Das kann fast alles sein: eine Polle, ein Staubkorn … bei mir reicht schon ein Bild vom FDP-Parteivorsitzenden. Wenn man jedoch Rosenallergikern eine Plastikrose, die das Rosenantigen gar nicht besitzt, unter die Nase hält, reagieren diese Menschen trotzdem mit Allergiesymptomen. Was lernen wir daraus? Die Angst allein reicht aus, um die Krankheit auszulösen.
Vielleicht pfeifen wir deshalb alle immunologisch aus dem letzten Loch. Denn wir leben in einer Zeit der Angst. Eine Phobienliste im Internet führt 584 Phobien: Von A wie Ablutophobie (der Angst vor dem Waschen) bis Z wie Zemmiphobia (der Angst vor Nacktmullen). Natürlich findet sich dort auch eine ganze Reihe von Essphobien wie Lachanophobie (Angst vor Gemüse) oder die Carnophobie (Angst vor Fleisch). Übrigens, unter Alliumphobie (der Angst vor Knoblauch) leiden nicht nur Vampire. Selbstredend gibt es eine generelle Angst vor Nahrung, die Sitiophobie. Geschürt werden unsere Ängste durch ständig neue Horrorzahlen in den Zeitungen: Jeder zweite Deutsche ist übergewichtig. Jeder dritte Deutsche wird dement. Jeder vierte Deutsche bekommt Krebs. Jeder fünfte Deutsche leidet unter behandlungsbedürftigen Sexualstörungen. Jeder sechste Deutsche ist diabetesgefährdet. Es ist ein Wahnsinn! Nur jeder siebte Deutsche lebt gesund! Interessanterweise hat eine andere Studie ergeben, dass genauso viele Deutsche zu übermäßigem Alkohol konsum neigen. Ich frage mich: Gibt es da einen Zusammenhang? Angesichts der Gefahr, in der wir schweben, ist Saufen vielleicht das Vernünftigste, was man tun kann.
Panik im Stall
Und wer ist schuld an dem maroden Zustand der Volksgesundheit? Genau! Das Essen. Nicht nur wegen Salz, Fett, Zucker, Konservierungs-, Farb- und Zusatzstoffen oder irgendwelchen falsch gesättigten Fettsäuren. Nein! Denken Sie allein an die ganzen Lebensmittelskandale, die das Land in den letzten Jahren heimgesucht haben: Nitrofen im Huhn. Dioxin im Schwein. Nikotin in Eiern. Und man fragt sich erschrocken: »Was, Nikotin in den Eiern? Welcher Irre verkauft denn den Hühnern Kippen?« Kaum bist du dem Gammelfleisch entkommen, krepierst du am Acrylamid. Hat dich Ehec verschont, nagt schon ein Fischbandwurm an deiner Leber. Hast du Vögel erfolgreich vermieden, steckt dich eine dumme Sau mit Grippe an. Während des BSE-Skandals waren die Menschen so aus dem Häuschen, dass ein panischer Leser der Rheinischen Post fragte, ob er sich auch an seinem Ledersofa mit Rinderwahnsinn anstecken könne.
Warum erinnern wir uns überhaupt noch an dieses komische BSE? Weil jeder Keim und jedes Gift monströs aufgeblasen und breitgetreten wird. Zeitungen berichten von stillgelegten Bauernhöfen wie von Bürgerkriegsregionen. Während des Dioxinskandals im Frühjahr 2011 stand in der Zeitung: »Einzelhandel schlägt Alarm: Versorgungsengpässe bei Bio-Eiern.« Versorgungsengpässe! Vor meinem inneren Auge kreisten schon UNO-Helikopter, die Säcke mit Trockenei über Bio-Krisenherden im Sauerland abwerfen. Zwar haben Toxikologen ausgerechnet, dass die gefundenen Dioxinmengen trotz Grenzwertüberschreitung so gering sind, dass man ein Omelett vom Durchmesser eines Saturnringes verzehren müsste, um sich einer ernsthaften Krebsgefahr auszusetzen. Aber diese Nachricht will ja keiner hören.
Ich traue der ganzen Aufregung nicht mehr über den Weg. Zu viele Skandalmacher verdienen einfach zu gut daran. Jedes Körnchen Gift ist ein geschenktes Konjunkturpaket für die Zeitungsmacher, die Gesundheitsindustrie und die Politik. Klar, auch unsere Volksvertreter freuen sich! Rein in die Gummistiefel, raus auf den Bauernhof und Handlungsfähigkeit demonstrieren. Bei der Finanzkrise ist das schon schwieriger. Schließlich kann man nicht einfach 20 000 Manager keulen.
Das alles schafft eine wunderschöne Atmosphäre der Angst. Vor Gift, vor
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