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Essen kann jeder

Essen kann jeder

Titel: Essen kann jeder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Weber
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damit nur »vermindert deklarationspflichtig«. Egal, ob Konservierungsstoffe, Säuerungsmittel, Weichmacher oder Stabilisatoren, sie müssen nicht extra angegeben werden. Schließlich mischt man sich seinen Schierlingsbecher selbst.
    Wobei man nicht behaupten kann, Bubble Tea gäbe vor, etwas zu sein, was es nicht ist. Natürlich ist in seinem Namen das Wort »Tee« enthalten. Doch das ist wohl eher als morbider Scherz seiner asiatischen Erfinder zu verstehen, der sich dem mitteleuropäischen Humorverständnis entzieht.
    Denn alles an Bubble Tea sagt: »Ich bin künstlich. Ich bin so künstlich, dass dagegen die Künstlichkeit selbst natürlich scheint. Meine Farbe variiert von Cadmiumgelb bis Kobaltblau. Meine Konsistenz ist sowohl kaugummiartig als auch schmierfettig als auch nasenschmodderglibbrig. Und wenn du mich trinkst, werden meine Fruchtaromen in deinen Neocortex fahren wie der Heilige Geist der Aromastoffe an Geschmackspfingsten! Ich bin von Kopf bis Fuß reine Chemie. Ihr Eltern werdet mich hassen, aber eure Kinder werden mich lieben.«
    Voll auf Zucker
    Und das liegt vor allem am Zucker. Denn Bubble Tea ist süß: sehr süß. Schmerzhaft süß. Geradezu tödlich süß. Man hat das Gefühl, dass man beim Trinken von innen kandiert. Deswegen ist Bubble Tea vor allem bei Kindern und Jugendlichen beliebt. Bis zu 30 Würfelzucker sind in 200 ml Tee aufgelöst. Aber das ist der älteste Trick der Lebensmittelindustrie: Wenn man etwas verkaufen will, muss man nur genug Zucker reinhauen. Vor allem, wenn der Zielkonsument ein Kind ist. Wie macht man Molke (ein Abfallprodukt der Milchindustrie, das man früher nur an Schweine verfüttert hat) zu einem hippen Sportgetränk? Die Antwort: Zucker. Wie scheffelt man mit gefärbter Gelatine Milliardengewinne? Zucker. Wie verkauft man an Kinder unter dem lustigen Namen Alcopops billigen Industriealkohol, den nicht mal der blindeste ukrainische Schwarzbrenner saufen würde? Zucker. Kennen Sie das Lied aus dem Musical Mary Poppins? »Wenn ein Löffelchen voll Zucker bittere Medizin versüßt …« Als Kind habe ich diese Frau geliebt. Heute weiß ich, die Schlampe war Lobbyistin der Lebensmittelindustrie!
    An diesem Heißhunger auf alles Süße ist offensichtlich auch unsere Biologie schuld. Zucker war in der Zeit unserer Ahnen ein rares und seltenes Gut. Selbst in Beeren und Früchten steigt die Zuckerkonzentration nur selten in schwindelerregende Hö hen. Vielleicht hat der Steinzeitmensch mal eine Honigwabe gefunden und vor Freude gegrunzt. Denn Honig enthält bis zu 80 Prozent Zucker. Das war eine seltene Energiebombe im kargen Speiseplan unserer Urverwandten. Und es war eine verdammte Arbeit, das Zeug zu finden. Einem Mammut den Speer in den Leib zu rammen bringt »thrill« und »fun«, aber sich beim Beerenpflücken die Bandscheibe zu ruinieren fanden schon die Neandertaler doof. Deshalb hat der Körper ein raffiniertes Belohnungssystem entwickelt. Beim Verzehr von zuckerhaltigen Nahrungsmitteln wird Serotonin ausgeschüttet. Das ist ein Stoff, der Glücksgefühle im Menschen auslöst. Mit diesem Stimmungshormon wollte der Körper unserem affenähnlichen Primatenvorfahren signalisieren: »Zucker, geil! Iss! Iss! Schnell! Schnell! Bevor dein Höhlenmitbewohner was davon mitbekommt …« Und an diesem Mechanismus hat sich im Laufe der Jahrtausende offenbar nicht viel geändert. Wir sind süchtig nach Zucker. Wir sind geborene Zuckerjunkies.
    Doch heute gibt es Zucker im Überfluss. Wie wir in dem Kapitel über »Fast Food« gelernt haben, wird dieser im Grunde segensreiche Nährstoff in übergroßen Mengen zum echten Problem. Zu viele Saccharide machen dick, kariös und zuckerkrank. Das dürfte schon beim größten Ernährungsvollpfosten angekommen sein. Was die wenigsten wissen: Zucker in hohen Dosen macht offensichtlich auch noch doof. Das ergeben zumindest Studien aus den USA. Wenn man Ratten sechs Wochen hoch konzentrierte Zuckerlösung zu saufen gibt, verlieren sie ihre Orientierungsfähigkeit. Vielleicht erklärt das auch Deutschlands mieses Abschneiden bei der PISA-Studie. Deutsche Schüler sind vielleicht nicht blöd, sie finden einfach nicht mehr den Weg zur Schule.
    Pom-Bär, Pudding-Paula und andere Mistviecher
    34 Kilo Industriezucker isst der Deutsche mittlerweile pro Jahr, Kinder oft noch mehr. Die Verbraucherschutzorganisation Foodwatch untersuchte kürzlich circa 1 500 Kinderlebensmittel-Produkte. Ergebnis: Fast drei Viertel der Produkte fielen unter

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