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Essen mit Freunden - Roman

Essen mit Freunden - Roman

Titel: Essen mit Freunden - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Insel Verlag
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Weihnachtskugeln und Lametta. Sein Blick aber schien auf innere Landschaften gerichtet. »Ich habe mich nie für diesen Weg entschieden. Irgendwie bin ich da reingerutscht. Ein bisschen Computer, ein paar Aktien, und plötzlich hatte ich eine Menge Geld. Ich habe eine Bilderbuchkarriere gemacht. Darauf könnte ich eigentlich stolz sein. Für mich war es nur ein Spiel. Aber was habe ich davon? Klar, Spaß. Nur: habe ich wirklich etwas geschafft? Was bleibt mir? In zwei Jahren? In zehn?« Schweigend schaute er den wirbelnden Schneeflocken zu. »Manchmal«, sagte er schließlich, »wenn ich im Flugzeug sitze und zu irgendeinem Meeting fliege, überlege ich, welche Momente wohl an meinem inneren Auge vorbeizögen, wenn das Ding abstürzen würde. Ich bleibe dann immer an der Zeit mit euch hängen. Als wir alle noch nichts hatten – außer uns. Sybilles Partys mit hunderten von Leuten. Deine Tür, die immer offen war, wenn mal wieder jemand von uns Liebeskummer hatte. Annes stän
dig wechselnde und völlig chaotische Eso-Öko-Emanzen-Revolutions- WG s.«
    Â»Das sag nachher aber bitte nicht laut«, sagte Luise und stoppte den Wagen, weil sie endlich eine Parklücke gefunden hatte.
    Â»Weißt du, woran ich manchmal denke, wenn ich mit irgendwelchen ach-so-wichtigen Geschäftspartnern in irgendeinem dieser superteuren Restaurants vor riesigen Tellern mit winzigen Portionen von Pasta mit Trüffeln auf Schnickschnack-Soße sitze?«, fuhr Thorben unbeirrt fort.
    Luise schüttelte den Kopf.
    Â»Mir fällt die Zeit ein, als wir Pasta noch Nudeln genannt haben und Anne nicht geglaubt hat, dass es einen Unterschied macht, ob sie Kartoffeln oder Spaghetti kocht. Sie hat die ganze Packung Nudeln auf einmal ins kalte Wasser geschüttet und von Anfang an mitgekocht. Anschließend haben wir Ketchup mit Tütenparmesan über die klebrige Pampe gekippt. Wir waren glücklich. Heute denke ich, dass Annes Nudel-Pampe vielleicht die beste Pasta war, die ich jemals gegessen habe.«
    Â»O Thorben, das ist hart«, sagte Luise und zog den Schlüssel aus der Zündung. »Wenn du das noch mal sagst, kannst du Dienstag vergessen.«
    Â»Wieso? Was ist am Dienstag?« Thorben sah sie überrascht an.
    Â»Dienstag wollte ich Hokkaido-Gnocchis ausprobieren, die ich bei dem Essen zum siebzigsten Geburtstag meiner Mutter machen möchte. Und du solltest einer der Test-Esser sein. Aber wenn dein ultimatives Gourmet-Highlight Annes Nudeln mit Tütenparmesan ist, muss ich mir wohl jemand anders für mein Probeessen suchen.«
    Â»Kürbisgnocchis, klingt gut. Natürlich komme ich. Gern! Und was gibt es dazu?«
    Â»Sicher keinen Ketchup«, sagte sie lachend.
    Â 
    Es waren bereits viele Gäste in der Galerie, als Thorben und Luise eintraten. Anne und Natascha standen Arm in Arm vor einer der Vitrinen, waren aber offensichtlich mehr mit sich als mit den Exponaten beschäftigt. Luise ließ ihren Blick durch den Raum schweifen und entdeckte Sybille sofort. Sie war umringt von einer Gruppe Menschen, die um ihre Aufmerksamkeit buhlten. Sie glühte und funkelte wie eine Sonne im Mittelpunkt ihrer selbst erschaffenen Galaxie. Sybille war wunderschön. An diesem Abend erinnerte sie Luise an die Schneekönigin in Hans Christian Andersens Märchen, jedoch in einer freundlicheren Version. Die Haut nicht wie Schnee, sondern wie Vanilleeis, die dunklen Haare aufgetürmt wie zu einer Krone aus Lakritz. Kein Schmuck. Dafür glänzten ihre Augen wie Juwele aus Aquamarin. Sybille trug ein cremefarbenes Cashmerekleid mit einem leicht perlmuttfarbenen Schimmer, sehr klassisch, sehr schlicht. Es umschmeichelte ihren Körper bei jeder Bewegung. Das Motto der Veranstaltung war »Mythen aus Schnee und Eis«. Der Untertitel war bei Sybilles Anblick jedoch schnell vergessen: »Sozialprojekte entwickeln ihren Traum einer weißen Weihnacht«.
    Â 
    Was immer Sybille organisierte, stets war sie selbst der strahlende Mittelpunkt. So war es bereits früher gewesen, auf diesen Festen, an die sich Thorben im Auto erinnert hatte. Luise dachte an Partys in Fabriketagen mit Blick über die Stadt, Konzerte in halb verfallenen Lagerhallen, Kellergewölbe im
Kerzenlicht, Stöckelschuhe und Federboas, Roulette im Hinterzimmer, Zigarettenspitze, Ohrringe aus Jett. Dosenbier, Campari, Absinth. Sie alle hatten gedacht, dass Sybille irgendwann

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