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Essen mit Freunden - Roman

Essen mit Freunden - Roman

Titel: Essen mit Freunden - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Insel Verlag
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Heiligabend ist. Die Zeitverschiebung, die vielen Eindrücke, das Wetter. Hätte Paul mich nicht erinnert, wann bei euch Bescherung ist, hätte ich dich wahrscheinlich mitten in der Nacht aus dem Bett geklingelt.«
    Es war erstaunlich: Hedda Blum klang zehn Jahre jünger. Luise ertappte sich dabei, wie ihr gegen ihren Willen ein Lächeln über die Lippen huschte. Die blitzlichthaften Sätze über Milongas und durchtanzte Nächte, über Schuhmacher und leichte Kleider mit Dekolleté klangen beinahe wie Sybille in ihren besten Zeiten. Ihre Mutter hatte schon immer ein Faible für geschmackvolle Garderobe und gute Schuhe, allerdings ging es dabei bisher meist auch um Bequemlichkeit. Sie nun über Zusammenhänge zwischen Absatzhöhen und Hüftschwung fachsimpeln zu hören kam Luise leicht absurd vor.
    Â»Schade, dass du nicht hier bist. Dann könntest du die Bilder sehen. Wobei – warte mal –« Sie hielt die Sprechmuschel fort und redete in den Hintergrund. »Luise, du hast doch eine Internetadresse«, sagte sie dann. »Kannst du mir die mal geben?«
    Diese Frage überraschte sie nun vollends. Sie gab ihr ihre Mailadresse durch, deutete kurz an, wie es ihr ging, verlor jedoch kein Wort über die Kündigung bei Text-Berg , und auch ihr neues Projekt verschwieg sie. Sie versprach vage,
vorbeizukommen, wenn die Arbeit ihr Zeit ließe. Dann beschloss sie, dass so viel Nähe fürs Erste reichen müsse, und legte auf.
    Luise suchte nach dem Zorn, den sie noch vor einer Weile empfunden hatte, doch das, was davon geblieben war, schmeckte schal und unangebracht. Es meldete sich aber stattdessen auch nicht die ihr so wohl bekannte Sorge zurück. Eine Weile saß sie grübelnd da, dann goss sie sich Kaffee nach und holte ihren Laptop. Es waren fünf neue Mails in ihrem Postfach. Eine von Natascha, die sich nach dem Erfolg des gestrigen Kochens erkundigte, eine mit Werbung für eine Krankenkasse und drei mit Argentina im Betreff, Hedda Blum als Absender, insgesamt fünfzehn Bilder im Anhang. Luise klickte sich durch ein bunt wirbelndes Buenos Aires, mittendrin ihre Mutter. Auch auf den Fotos sah sie zehn Jahre jünger aus. So strahlend hatte Luise sie lange nicht mehr gesehen. Und bei diesem Anblick kam doch ein Gefühl in ihr in Bewegung. Tränen, ruhige, still fließende, warme Tränen ohne Wut.
    Â 
    Â»Geht es dir nicht gut?«, fragte Ole mit prüfendem Blick, als Luise die Tür öffnete.
    Â»Ich habe einen Kater, mehr nicht«, sagte sie leise und tauchte in seine Umarmung ein, die freundschaftlich nett wie immer war und von der sie sich gerade jetzt wünschte, dass sie länger andauern möge und tiefer wäre als sonst.
    Â»Kater, weil es danebengegangen ist oder weil du gefeiert hast?« Er ließ sie los und hängte seine Jacke an die Garderobe.
    Â»Gefeiert.« Sie lächelte müde. »Magst du was essen? Ich habe noch nicht gefrühstückt.«
    Â»Gern! Bei einer erfolgreichen Profi-Köchin zu essen, kann man ja nicht ablehnen.«
    In Windeseile hatte sie Eier aufgeschlagen, gebackene Bohnen auf dem Herd, Speck und kleine Würstchen in der Pfanne. Sie toastete Brot, deckte den Tisch, setzte frischen Kaffee auf und erzählte nebenbei vom gestrigen Abend. Ole war ein guter Zuhörer. Er unterbrach nicht, fragte nicht an unpassenden Stellen nach, ließ Raum für blumige Ausführungen und applaudierte im richtigen Moment. Als Luise von den Tomatendosen erzählte, lachte er laut und nahm einen Nachschlag von den Bohnen.
    Â»Eins sag ich dir: Das Konzept mit dem heimlichen Kochen werde ich dahingehend überarbeiten müssen, dass ich künftig verschwinde, bevor die Gäste da sind. Jedes Mal Gefahr zu laufen, in einer Speisekammer zu landen, machen meine Nerven auf Dauer nicht mit.«
    Er nickte beifällig und lächelte tomatensoßenverschmiert. Wie schön wäre es, ihn ständig um sich zu haben. Ihn im Arbeitszimmer zu wissen, wenn sie hier am Küchentisch Einkaufszettel schrieb, seinen Schlüssel in der Tür zu hören, wenn sie kochte. Sie malte sich aus, wie es wäre, wenn er verschlafen hätte und mit verstrubbeltem Haar beim Frühstück säße. Sie wären das ideale Paar. Sie würden die Zeitung miteinander teilen, und sie würde auch nicht meckern, wenn er beim Lesen des Sportteils keine Fragen duldete. Sie würde ihm die Milch

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