Essen mit Freunden - Roman
Die Augen hielt sie geschlossen, denn obwohl sie sich zu erinnern meinte, vor dem Zubettgehen die Vorhänge zugezogen zu haben, war das Licht, das durch ihre Lider drang, eindeutig zu hell. Vorsichtig reckte sie den Hals, doch sofort drehte sich alles und kam erst wieder zur Ruhe, als sie seufzend den Kopf zurück auf die Kissen bettete. Es war spät geworden gestern. Für Luise eindeutig zu spät.
Nachdem sie unbemerkt ihrem Exil in der Speisekammer entkommen war, stieà sie mit Sybille im vierten Stock auf
ihren Erfolg an. Und da sie den ganzen Tag nichts auÃer ein paar Probehäppchen gegessen hatte, bestellte Sybille Pizza, was Luise, die erschöpft auf das Sofa gesunken war, eine wunderbare Idee fand. Nach dem Essen hatte es zum Espresso das überzählige Zimtparfait gegeben. Allerdings wurden im vierten Stock dazu keine warmen Pflaumen gereicht. Hier gab es Zwetschgenwasser pur. Als Katharina und Benni nach dem Elternbesuch abends überglücklich und mit einer Flasche Wein vor Sybilles Tür standen, hatte Luise schon einige Promille in sich. Trotzdem wurde zu viert weitergefeiert. Frau Boonkamp war vor lauter Freude und Rührung sogar so weit gegangen, Katharina das Du anzubieten. Und das, davon war Benni überzeugt, hatten einzig und allein Luise und ihr Menü vollbracht. Vielleicht müsse man sich gesehen fühlen, um auch den anderen wirklich sehen zu können. Um einen Kontakt auf Augenhöhe zuzulassen, hatte Luise daraufhin philosophiert. Sie hatte das als einen sehr klugen Gedanken befunden, dort, auf Sybilles Sofa mit dem Weinglas in der Hand, auch wenn sie sich nun nur noch an Bruchstücke davon erinnern konnte.
Etwas auf ihrem Nachttisch summte. Der Wecker oder das Handy? Es war an der Zeit, aufzustehen. Nach seinem Montagstermin bei Text-Berg wollte Ole vorbeikommen, um mit ihr Details ihrer Homepage zu besprechen. Bis dahin musste das Chaos in der Küche beseitigt sein, denn nachdem das Taxi sie gestern Abend vor der Tür abgesetzt hatte, war sie nur noch erschöpft ins Bett gefallen. Sie streckte den Arm aus, tastete nach ihrem Handy. Es war elf Uhr zehn, und sie hatte eine neue Nachricht:
»Liebe Luise, habe dich zu Hause nicht erreicht. Darum so: wir sind wieder gut gelandet. Freue mich, wenn du anrufst. Mama«
Sie kniff die Augen zusammen. Ihre Mutter? Eine SMS ? Das war nicht möglich. Sie kontrollierte die Nummer. Es stimmte. Luise war versucht zurückzurufen, sofort, mobil, doch als sie sich im Bett aufsetzte, merkte sie, dass sie dem noch nicht gewachsen war. Jedenfalls nicht vor dem ersten Kaffee.
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Kurz vor halb zwei. Für einen Moment schloss sie die Augen, legte die Hände um die Kaffeeschale und lieà die Wärme in sich einsickern. Das Aspirin zeigte Wirkung. Sie hatte alles erledigt, was vor Oles Besuch zu tun war. Zuerst hatte sie sich die Küche vorgenommen, die glücklicherweise weniger dramatisch aussah als gedacht. Das meiste an dreckigen Töpfen und Geschirr stand ja woanders. Die Spülmaschine war schnell bestückt, der Boden gefegt. Das reichte. Danach hatte sie so lange geduscht, bis sie aussah wie ein gebrühter Hummer und das Gefühl hatte, dass der gestrige Abend aus sämtlichen Poren hinausgespült war. Dann erst hatte sie sich einen Kaffee gemacht. Und zum Kaffee wollte sie ⦠sollte sie ⦠müsste sie endlich ⦠Sie atmete durch und trank einen groÃen Schluck.
An Weihnachten hatten sie sich das letzte Mal gesprochen. Nachdem zwei Anrufe ihrer Mutter auf dem Anrufbeantworter gelandet waren, hatte sie sich entschlossen abzuheben, um danach ihre Ruhe zu haben. Für drei Minuten hatte Argentinien in ihrer Ohrmuschel gerauscht. Drei Minuten, in denen sie Höflichkeiten, Floskeln und gute Wünsche ausgetauscht hatten. Auf eine solche Entfernung sagt man sich keine Boshaftigkeiten. Zum neuen Jahr war keine Nachricht gekommen, und seither war Luise zu beschäftigt gewesen, um ständig an Argentinien zu denken. Sie war selbst
überrascht, doch sie hatte sogar vergessen, dass ihre Mutter am Tag ihres groÃen Koch-Debüts zurückkam.
Und nun war sie wieder da. Wir sind gelandet. Dann gab es dieses Wir noch, an das sich zu gewöhnen Luise sich beharrlich weigerte. Also gut. Sie sah erneut zur Uhr. In einer halben Stunde wäre Ole da. Zeit, es hinter sich zu bringen.
»Und es war so viel los, dass ich beinahe gar nicht gemerkt habe, dass
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