Esswood House
sich an diesem Ort, um ihr wahres und innerstes Selbst zu finden. Als sie aufgestanden war und sich angekleidet hatte, machte sie probehalber eine Tür in ihrem Schlafzimmer auf und entdeckte eine Treppe, die ihr seltsam privat erschien, ein Geheimnis in dem Haus, das nur sie kannte -
Als Standish versuchte, Wein in sein Glas einzuschenken, stellte er fest, daß die Flasche leer war. Ein paar Pilze lagen in geronnener grauer Soße auf seinem Teller. Die Helligkeit im Eßzimmer tat ihm in den Augen weh. Er befand sich wieder im Zeitstrom, rieb sich das Gesicht und sah auf die Uhr. Es konnte unmöglich schon dreiundzwanzig Uhr dreißig sein. Standish gähnte und streckte sich. Er stand auf, ging nochmals in die Speisekammer und schenkte sich abermals zwei Zentimeter von dem siebzig Jahre alten Whisky als Betthupferl ein. Wenn sein Körper müde war, sein Geist aber nicht - dann würde er bestimmt nicht gut schlafen.
Mit seinen Schnellheftern und dem Glas in der Hand ging er durch den großen Raum zum Haupteingang, weil er zu so später Stunde nicht durch seinen »geheimen« Korridor hinaufstolpern wollte.
Er ging die große Treppe hinauf und durch den rechten Flügel zur inneren Galerie und seinen Räumlichkeiten. Als er das kleine Vorzimmer betrat, das das Treppenhaus mit der Galerie verband, freute er sich schon darauf, seinen Pyjama anzuziehen und mit Isobels Manuskript zu Bett zu gehen. Standish kannte die ungefähre Größe des kleinen Zimmers und wußte, daß die Tür zur Galerie sich direkt gegenüber der Tür zum Treppenhaus befand. Daher kam es ihm so vor, als wäre er von seinem eigenen Körper verraten worden, als er gegen ein großes Möbelstück stieß, sich irgendwie im Dunkeln herumdrehte und die andere Tür nicht finden konnte.
Er ermahnte sich, ruhig zu bleiben. Da er es satt hatte, von einem Möbelstück zum nächsten zu taumeln, blieb er stehen. Der Raum wirkte noch dunkler als zuvor, als seine Angebetete ihn hindurchgeführt hatte. Kr zwang sich, langsam und konstant zu atmen. In der Dunkelheit konnte er die großen, klobigen Umrisse von Ledersesseln mit hohen Rückenlehnen ausmachen. Vor einigen davon standen quadratische dunkle Schemen. Alle vier Wände schienen von einer einförmig gefleckten graubraunen Haut bedeckt zu sein, die sich nicht zu Reihen von Büchern auflöste. Er trat vorwärts und stieß sich das rechte Bein schmerzhaft an einer harten Oberfläche an. Er fluchte verhalten und versuchte, einen Weg um das Ding zu finden, gegen das er gestoßen war. Er machte einen Schritt zur Seite und tastete sich voran.
Ein Freiraum tat sich vor ihm auf, er ging zuversichtlicher auf die dunkle Fläche der Wand zu. Nach einem einzigen Schritt stolperte er über ein flaches Möbelstück, schrie und fiel hin. Das Glas flog ihm aus der Hand und zerschellte irgendwo weit links von ihm. Er landete auf dem linken Arm, mit dem er immer noch Isobels Manuskripte an die Brust drückte. Schmerzen, so klar und stechend, als hätte man ihm den Arm abgeschnitten, schoßen vom Ellbogen zur Schulter und wurden zu einem konstanten Pochen. Standish kroch wie eine Made auf dem Fußboden dahin.
Irgendwo über sich hörte er eine Frau lachen.
Sein ganzer Körper wurde eiskalt, seine Hoden schienen förmlich in den Unterleib hineinzuschrumpfen. Er wollte etwas sagen, aber seine Kehle versagte ihm den Dienst. Das Kichern verklang mit einem kurzen, glücklichen Seufzen. Die durchtrennten Sehnen und Blutgefäße an Standishs Kehle fügten sich wieder zusammen. »Wo sind Sie?« flüsterte er.
Stille.
»Warum tun Sie mir das an?«
Er hörte das leise Rascheln von Bewegungen hinter sich, dann glaubte er, hastige Schritte treppab zu hören.
Standish tastete sich durch den Raum, bis er mit ausgestreckten Fingern eine Tür aus Holz berührte.
Er trat in das grelle Licht der inneren Galerie und rieb sich die Augen mit der linken Hand. Die Realität waberte um ihn herum, goldene Teller und goldene Gabeln und ein verlassenes Herrenhaus und abgeschlagene Köpfe und eine Frau, die sich lachend in Luft auflöste, und ein Baby, nicht sein Baby, in einer Vergangenheit, die -
Er schüttelte den Kopf. Er mußte schlafen. Kühle Luft strich um Standishs Knöchel. Er schaute zu den dunklen Fenstern hinaus und sah die Fenster im Flügel der Seneschals erstrahlen.
Vor seinen Augen bewegte sich ein kleiner, dunkler Schatten am Vorhang des Fensters linker Hand vorbei, dann ging das Licht so plötzlich aus, als wäre eine Tür
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