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Esswood House

Esswood House

Titel: Esswood House Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Straub
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kommen Sie«, sagte er. Er spähte um die Ecke der großen Arbeitsplatte herum. »Kommen Sie heraus!«
    Standish ging um den gesamten Raumteiler herum und berührte die Vorderseite des Gasherds, die noch heiß war.
    »Bitte.«
    Er lehnte sich an den Marmortresen und ging davon aus, daß sie jeden Moment aus einem Schrank herausspringen, kichern und ihn umarmen würde. Auf der anderen Seite der gußeisernen Spülbecken sah Standish eine altmodische bogenförmige Holztür, die so weiß wie die Wände gestrichen war. Er ging hin und mühte sich ab, sie zu öffnen, bis ihm auffiel, daß ein großer Messingriegel über die Zarge geschoben worden war. Standish zog den Riegel zurück und machte die Tür auf. Er ging hinaus in die Mitte des bogenförmigen Laubengangs. Es herrschte das Halbdunkel eines warmen, schwülen Abends.
    »Hallo!« rief Standish. Dann wurde ihm klar, daß die Frau nicht durch diese Tür hinausgegangen sein konnte. Sie war von innen verriegelt gewesen.
    Er kehrte in die Küche zurück. Im Haus war es mindestens zehn Grad kühler. Abermals ging er durch die ganze Küche, hörte aber nur das Geräusch seiner eigenen Schritte auf dem Steinboden.
    Seine Emotionen tobten entfesselt in ihm und oszillierten zwischen Frustration, Wut, Enttäuschung, Verwirrung und Angst, ohne sich eindeutig festzulegen. Diese Empfindungen wurden freilich von einer unbeschwerten, beinahe fassungslosen Heiterkeit überlagert, daß es ihr gelungen war, ihren Streich zu spielen. Standish blieb stehen und stemmte die Hände in die Hüften. »Okay«, sagte er. Schließlich ging er die enge Treppe wieder hinauf.
    Auf dem Tisch in dem erstickend förmlichen Eßzimmer befanden sich seine beiden Schnellhefter, die Haube über seinem Essen, die Flasche Wein. Er konnte nicht verstehen, warum die Frau, die er so sehr vergötterte, ihn seiner Einsamkeit überließ.
    Das Abendessen konnte noch ein paar Minuten warten. Er kehrte in die Speisekammer zurück, machte den Barschrank auf und nahm den Malzwhisky und zwei Gläser heraus. Auf der Flasche stand: EHRWÜRDIGES ERBE 70 JAHRE ALT. Er stellte die Gläser neben dem Spülbecken der Vorratskammer ab, schenkte dreieinhalb Zentimeter Whisky in jedes Glas ein, stellte die Flasche zurück und trug die Gläser hinaus ins Eßzimmer.
    Er setzte sich, trank und sah zur Speisezimmertür. Der Whisky schmeckte, wie schon in der Nacht zuvor, wie ein zartes, dunkles Fleisch.
    Standish trank den Whisky in dem Glas, sah zu dem anderen, hob es hoch, ließ den gesamten Whisky in seinen Mund fließen und schluckte ihn hinunter.
    Beim Essen blätterte er die Entwürfe unbekannter Gedichte durch. Sie schienen noch weniger Sinn zu ergeben als Isobels Dichtung normalerweise. Vor sich hatte er ein Gedicht mit dem Titel »Erwachen«, das mit den Worten Made Bett Bild Hund begann. »Erwachen« schien gänzlich aus willkürlich aneinandergereihten Worten zu bestehen. Er würde feststellen müssen, ob sich Isobel zu regelrechtem Nonsens hin- oder davon wegentwickelt hatte. Er trank einen Schluck von dem Rotwein, der, wie er jetzt feststellte, so gut schmeckte wie Esswoods Whisky, allerdings auf eine ganz und gar andere Art und Weise. Vielleicht hatte Isobel unter Alkoholeinfluß geschrieben. Er drehte die Flasche und las das Etikett. Es war Pomerol, Chateau Petrus, 1974. Und das Kalbfleisch war so köstlich, daß es sich fast lohnte, es bei jeder Mahlzeit zu essen.
    Tatsächlich -
    Standish hörte einen Moment auf zu kauen.
    Tatsächlich war es fast, als befände er sich in Isobels Gegenwart, wenn er dieses spezielle Mahl an diesem speziellen Tisch aß. Es war, als würde die Zeit überhaupt nicht mehr im herkömmlichen linearen Sinn existieren und sie selbst wäre irgendwo hier, gerade außer Sichtweite.
    Das P des Titels bedeutete Präteritum , wurde Standish klar.
    Er schlug den Schnellhefter mit den Gedichten zu, schob ihn beiseite und zog den umfangreicheren Hefter mit den Memoiren näher an seinen Teller. Er trank Wein, kaute pflichtschuldig sein Essen und trank wieder. Er las.
    Eine junge, verheiratete Frau aus Duxbury, Massachusetts, besuchte ein großes Anwesen in England. Eine wunderschöne Frau namens E. begrüßte sie. E. führte sie die Treppe eines großen Herrenhauses hinauf in eine lange Galerie und eine Zimmerflucht mit Ausblick auf einen Springbrunnen. Die junge Frau aus Massachusetts badete und ruhte sich aus, bevor sie nach unten ging, um die anderen Gäste kennenzulernen, und sie wußte, sie befand

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