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Esswood House

Esswood House

Titel: Esswood House Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Straub
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das Baby im Traum war?
    Standish stand vom Bett auf, um zu pinkeln. Dunstiges Licht fiel durch das Schlafzimmerfenster, und Standish drehte sich gerade noch rechtzeitig um, daß er durch die Spalten der Fensterläden sehen konnte, wie das Licht bei den Seneschals wieder ausgeknipst wurde.

KAPITEL ZEHN
    Etwas Unmögliches trug sich am nächsten Morgen zu. Auf dem Weg durch »seine« Treppe und den Korridor zum Eßzimmer verirrte sich Standish in Esswood und wanderte um fremde Ecken herum, unbekannte Stufen hinab und an verschlossenen und unverschlossenen Türen vorbei.
    Standish hatte in seinem Leben nur sehr wenige Kater gehabt, und nach jedem war er über die Maßen hungrig gewesen - sein einziger Gedanke war, nach unten zu gehen und zu verschlingen, was auf dem Tisch stand, auch wenn es einen komischen Namen hatte und wie Ohrenschmalz aussah. Er hatte Visionen von Steak und Bergen von Rührei und ganzen Tellern voll Würstchen. Er rannte fast die Treppe hinab. Sein Kopf pochte und sein Blick war seltsam verschwommen - kein Alkohol mehr, nie wieder, versprach er sich. Er passierte die riesige Spinnwebe und hieb voller Abscheu danach, da ihm ihre feinen flatternden Hände und Finger zuwider waren. Nach einer gewissen Zeit kam es ihm, wie gestern, so vor, als hätte er so viele Windungen zurückgelegt, daß er am ersten Stock vorbeigegangen sein mußte. Er machte langsam. Die Wände des Treppenhauses bestanden aus geweißtem kühlem Stein, der sich eiskalt anfühlte. Wann waren die Wände in Stein übergegangen? Er sah über die Schulter. Die Krümmung der Wand, der gußeiserne Kerzenhalter, sogar das trübe graue Licht wirkten seltsam.
    Ein paar Minuten später kam er zum unteren Ende der Treppe. Der Korridor, der sich anschloß, schien wie der auszusehen, den er kannte, und doch wieder nicht. Unmittelbar vor sich sah er eine hohe Tür und einen halbdunklen Flur. Alles wirkte ein wenig dunkler und schmutziger, als er es in Erinnerung hatte. Er konnte sich erst Gewißheit verschaffen, daß er sich in einem unbekannten Teil des Hauses befand, als er den Korridor bis zur Kreuzung hinuntergeeilt war und eine leere Wand sah, wo die Statue eines Knaben sein sollte. Er ging um eine Ecke und sah eine andere, schmalere Treppenflucht, die zu einem Betonboden hinabführte.
    Er blieb stehen. Jetzt schien ihm, als wäre er in seiner Hast tatsächlich um mehrere Ecken gebogen, ohne ihnen die gebührende Aufmerksamkeit zu schenken - sein Magen, nicht seine Augen, hatten ihn geleitet. Tatsächlich setzte sich sogar der Eindruck in ihm fest, daß er blindlings rechts und links abgebogen war. Er hatte vage Impressionen, wie Bilder aus einem Traum, von Korridoren, die sich zu einer endlosen Abfolge von Fluren aus Stein und kahlen Betonwänden verzweigten. Er verspürte das unangenehme Kribbeln von Übelkeit. Er drehte sich um und schaute zurück. Ein dunkler Flur erstreckte sich hinter massiven Holztüren und endete an einer T-Kreuzung. Er stöhnte. Einen Augenblick verdrängte das Gefühl, daß er sich vollkommen verirrt hatte, seinen Hunger. Er ging den Flur zurück, von wo er gekommen war, und versuchte sein Glück an der erstbesten Tür. Abgeschlossen.
    Die nächste Tür führte in einen Raum, der mit zusammengerollten Zeitungen, hellen Balken, unregelmäßigen weißen Gegenständen und Anfeuerholz gefüllt zu sein schien. Staubige Rahmen mit toten Faltern und Schmetterlingen hingen an der Wand. Hoch an der gegenüberliegenden Wand befand sich ein kleines Fenster, wie das Fenster einer Gefängniszelle. Der tote Geruch abgestandener Luft wehte zu der offenen Tür heraus. Standish sah einen Moment in den Raum hinein, bis ihm aufging, daß es sich bei den auf dem Boden aufgeschichteten Gegenständen um Knochen handelte. Dutzende, möglicherweise Hunderte Skelette hatte man hier zerstückelt. Er war in den Schauplatz eines schweren Verbrechens hineingestolpert - plötzlich fiel ihm die Geschichte von Blaubarts Frau ein, und aus seinen Kopfschmerzen wurde augenblicklich ein rotglühender Draht aus Schmerz, der sich von der Stirn bis zum Hinterkopf erstreckte. Menschen waren abgeschlachtet und ihre sterblichen Überreste hier gelagert worden. Durch und durch verängstigt vergewisserte Standish sich, daß niemand den Korridor entlang kam, dann machte er einen Schritt in den gräßlichen Raum hinein.
    Da bemerkte er Geweihe an einigen der länglichen Schädel, die in eine Ecke des Raums geschoben worden waren. Er ging zaghaft auf die

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