Est Electio: Dämonische Versuchung (German Edition)
wiedersehen. Sie atmete schwerfällig. Ihr Herz überschlug sich fast in dem wilden Toben ihrer Gefühlswelt, die nun so unvorhergesehen in sich zusammenbrach, dass sie Mühe hatte, die Fassung nicht gänzlich zu verlieren. Sie zwang sich etwas zu sagen, weil es in ihrer Kehle brannte wie Säure.
„Was ist denn nun mit meiner Wahl? Jetzt wo der Engel nicht mehr da ist.“ Jene Frage schoss wie von selbst aus ihr heraus. Sie war wütend auf diese Wahl. Sie war wütend auf sich selbst und diese dumme Aufgabe, die sie zu erfüllen hatte.
„Es wird ein neuer Engel kommen. Du wirst ihn schon sehr bald treffen.“
Andash stemmte sich hoch.
„Es ist nicht nötig auf ihn zu warten. Er kommt von ganz alleine zu dir.“
Sanftmütig legte er Maira seine Hand auf die Schulter.
„Alles Gute zu deinem Geburtstag, mein Kind.“
Jener Glückwunsch kam von Herzen, aber Andashs Blick war so voller Sorge und dies trübte, den gut gemeinten Geburtstagsgruß, auf das Wesentliche. Zum ersten Mal in seinem Leben, tat er mit der Ausrichtung ihrer Party, etwas, das vollkommen unvernünftig war. Er wusste, dass Maira zu diesem Zeitpunkt nicht danach zumute war, ihren Geburtstag zu feiern, aber die Tatsache, dass es unter Umständen ihr Letzter sein würde, veranlasste ihn dazu. Sie war ihm ungemein wichtig. Maira hingegen hatte Probleme mit der Art und Weise, wie er mit ihrer Aufgabe als Schlüssel der Macht umging.
Warum ging er davon aus, dass sie es so einfach hinnehmen konnte ihren Ciprian auszutauschen, wie ein kaputtes Möbelstück? Was dachte er von ihr? In dem Moment überkam sie zum ersten Mal das Gefühl, das sie wahrhaftig ganz alleine war. Alle sahen in ihr nur den Schlüssel zur Macht. Weiter nichts. Sie war unsagbar traurig. Sie fühlte sich, als würde ihr das Herz in der Brust zersplittern, wie ein Monument aus hauchdünnem Glas. Auch Andash schien in ihr nicht viel mehr zu sehen, als die Laune einer überirdischen Kraft.
Am späten Nachmittag trudelten die ersten Gäste ein und Maira bemühte sich einen akzeptablen Gastgeber abzugeben. Es ging ihr schlecht. Man sah ihr die Traurigkeit an. Dunkle Augenringe säumten ihre unteren Lider, als hätten sie sich wie die Schatten der uralten Bürde, welche sie zu tragen hatte, in ihrem Gesicht eingegraben. Auch ihr Make-up konnte diese hässlichen Abdrücke unter ihren ansonsten so anziehenden, grünen Augen nicht verstecken.
Andash hatte ein Buffet liefern lassen und überall im Garten kleine Lampions aufgehängt, deren Lichter in der nahenden Dämmerung eine gemütliche Atmosphäre verbreiteten. Maira ertappte sich immer wieder dabei, wie sie wehmütig zu Ciprians Haus hinüberstarrte. Erst jetzt kreiste die Frage in ihrem Kopf, wer seine Eltern wohl waren. Sie hatte diese, trotz der vielen Jahre, in denen sie Nachbarn und Freunde gewesen waren, nur flüchtig kennengelernt.
Hatte ein Engel überhaupt so etwas wie Eltern?
In einem unbeobachteten Moment huschte sie auf das Nachbargrundstück und blinzelte vorsichtig in eines der hell erleuchteten Fenster. Ciprians Mutter bewegte sich im Zimmer umher. Maira konnte sehen, wie sie seinem Vater eine Tasse Tee brachte, der, vertieft in das Fernsehprogramm, auf der Couch saß. Sie lachten und wirkten so unbeschwert. Maira verrenkte sich den Hals, um die beiden weiter beobachten zu können. Jetzt, wo sie gemeinsam vor dem Fernseher saßen, musste sie auf ihren Zehenspitzen stehen. Die Nase nach oben geneigt, hielt sie sich mit den Fingern am Fensterbrett fest, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren.
„Sie können sich nicht mehr an ihn erinnern.“
Maira schreckte zusammen, als sie Andashs Stimme hinter sich vernahm. Langsam wandte sie sich halb zu ihm um.
„Ein nettes, kinderloses Paar. Wir schenkten ihnen Erinnerungen an die Geburt ihres Kindes. An seine Kindheit.“
„Also, sind sie nicht wirklich Ciprians Eltern?“, fragte Maira und beobachtete weiter die Schatten zweier Menschen, die sich sorglos in ihrem Wohnzimmer in den Armen lagen. Sie hatten das Licht gedämmt. Nur die flackernden Bilder des Fernsehers umspielten ihre Konturen und ließen ab und an etwas mehr erkennen, als nur dunkle Gestalten.
„Ein Engel wird nicht geboren. Ein Engel erscheint einfach“, antwortete Andash und stimmte ein, in Mairas sehnsüchtigen Blick, den sie in jenes Fenster warf.
„Es fehlt ihnen an nichts“, fügte er noch hinzu.
Doch diese Meinung konnte Maira nicht mit ihm teilen. Wie konnten sie jetzt glücklich
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