Esther Friesner
zurückgehalten wurden.
»Mysti, es tut mir leid, wenn ich dich verletzt habe, aber …« Ich bekam den Satz nicht mehr zu Ende. Eine muskulöse Hand legte sich auf meinen Mund, und ein kräftiger, mit einem Schwert bewaffneter Arm schob sich vor mein Gesicht. »Kusch«, flüsterte mir Grym grob ins Ohr.
»Grmph«, antwortete ich.
»Kusch!« beharrte der Barbar. Er ließ mich los. »Kein Wort.
Stimmen tu’ ich dort drüben vernehmen.« Er deutete auf den Korridor jenseits des Treppenabsatzes. »Vorsicht gilt’s nun walten lassen, auf daß es nicht geschehe, daß dein tölpelhafter Bruder durch sein jüngstes Unglück das Haus zu uns’rem Schaden aufgeweckt.«
»O nein, nicht auch das noch!« stöhnte ich (leise). »Du meinst, er könnte Mama aufgeweckt haben?«
»Kusch!« Wir kuschten. Der Gang jenseits der Treppe war von vielen kleinen Bienenwachskerzen gut erhellt. Als ich hinausblickte, entging ich nur um ein Haar der Entdeckung durch zwei Wachposten, die am Ende des Korridors standen. Wachen und Bienenwachskerzen kosten einen Haufen Geld, vor allem, wenn man sie die ganze Nacht im Einsatz hat. Ich fragte mich, was in diesem Teil des Hauses nur so wertvoll sein konnte.
Einer der Posten streckte sich gähnend. »Bei Wedwels Zehen, das ist vielleicht langweilig. Wann kommt denn unser Einsatz, den wir so dringend brauchen?« Er warf einen sehnsüchtigen Blick den großen Treppenabsatz zu seiner Rechten hinunter.
»Langweilig?« wiederholte der zweite Posten. »Nach dem ganzen Aufruhr mit Basehart? Als er auf der Turmtreppe einen Purzelbaum nach dem anderen machte, dachte ich schon, wir würden angegriffen!«
»Ja, du bist auch ganz schön zusammengefahren«, stimmte sein Kamerad zu. »Aber wenn du erst einmal so lange für die Gangles gearbeitet hast wie ich, dann weißt du, daß der junge Basehart so regelmäßig Treppen herunterfällt, daß man schon die Uhr danach stellen kann.« Der jüngere Posten schnalzte mit der Zunge. »Bei dem ganzen Gepolter hätte ich geglaubt, der bricht sich alle Knochen. Aber nicht mal eine Schramme! Es gibt doch noch Zeichen und Wunder.«
»Och, der wird morgen früh schon seine Schrammen haben«, widersprach der Veteran. »Aber Knochen hat er sich noch nie gebrochen, warum sollte er also jetzt damit anfangen? Wir haben für den Jungen alles getan, was wir konnten, als wir ihm die Haupttreppe zeigten und ihm erklärten, wie er zu seinem Bett zurückfindet.«
»Die Haupttreppe ist er auch hinuntergefallen.«
»Na ja, diese Gangles lieben eben ihre kleinen Familientraditionen.«
»So, da hörst du es!« flüsterte Mysti heftig. »Basehart geht es gut - um so schlimmer. Jetzt laß uns Mutter Krötenhauch suchen.«
»Kusch!« sagte Grym zum vierten Mal. Er verbaute Mysti den Zugang zur Treppe. »Nicht Hand noch Fuß werden wir rühren, bevor die Posten dort Entsatz erhalten, auf daß sie uns’re Schritte nicht vernehmen und ich mich nicht in Nöten sehe, sie blutig wohl zu metzeln.«
»Es wäre mir lieber, du würdest das nicht tun«, meinte ich. »Sonst schiebt mir Mama das auch noch in die Schuhe.«
»So warten wir denn hier, bis andere Wachen kommen, auf daß wir im Getöse ihres Lebewohls von dannen schleichen können«, schlug Grym vor. Er hatte recht. Wir durften keine Aufmerksamkeit erregen.
Stumm bedeutete ich ihm, daß wir seinem Plan folgen würden. Und so setzten wir uns auf die Treppe, um zu warten.
Die Zeit verging nur zäh. Scandal kringelte sich zusammen und schlief auf Mystis Schoß ein, aber wir anderen besaßen nicht sein Talent, zu jeder passenden Gelegenheit ein Nickerchen einzulegen.
Ich spähte immer wieder in den Gang hinaus, nur um etwas zu tun zu haben. Schon bald wurde daraus ein Spiel. Ich schaute nach, ob es im Gang irgendwelche Hinweise darauf gab, die mir helfen würden zu erraten, was wohl in dem Zimmer sein mochte, das die Posten so pflichtbewußt bewachten.
Die Schatzkammer konnte es nicht sein. Paps bewahrte sein Geld in einem Raum auf, der noch unterhalb des Verlieses lag. Er hatte mich einmal dorthin mitgenommen, und wir hatten uns im Dunkeln vortasten müssen. Er hatte sich geweigert, auch nur eine Kerze mitzunehmen - als Sicherheitsmaßnahme. Denn was man nicht sehen kann, kann man schlecht stehlen.
Die Waffenkammer war es auch nicht. Paps liebte seine Waffen, zog es aber vor, sie in Reichweite zu haben. Im Laufe der Jahre hatte Mama sich daran gewöhnt, an jeder Ecke über Speere, Schwerter und Armbrüste zu stolpern. Ich
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