Esther Friesner
in der Tür sein? Dein Mann?«
»Ich bin ihr Bruder!« erklärte ich. Milkum zog eine Schnute.
»Ehemänner sind besser.«
Lucy fuhr in den Armen des großen Manns kerzengerade auf - kein leichtes Unterfangen, aber Lucy schafft es immer - und warf mir einen vernichtenden Blick zu. »Nicht jetzt, Kendar«, sagte sie. »Ich stecke mitten in einem guten Buch.«
KAPITEL 25
»Du bist was?« Ich konnte nicht fassen, was meine kleine Schwester mir soeben mitgeteilt hatte. Es war viel zu schmachvoll. Es war viel zu entsetzlich. Es würde Paps auf der Stelle umbringen, wenn er davon erfuhr. Es würde Mama auf der Stelle umbringen, wenn die Nachbarn davon erfuhren.
»Nun hör auf, so ein Getue zu machen, Kendar.« Lucy lehnte sich in den Kissen auf ihrem Bett zurück und gähnte mir ins Gesicht. »Ich bin schließlich schon ein großes Mädchen.«
»Wie lange geht diese … diese … diese Sache schon?« Mit einem Wink wies ich zu der Bank hinüber, wo Lucys beide mitternächtlichen Besucher nun saßen.
»Bitte nenn Milkum keine Sache.« Meine Schwester errötete nicht einmal, als sie den kleinen Mann anlächelte. »Ich weiß zwar, daß er nicht nach viel aussieht, aber er ist einer der Besten. Und was Curio angeht …« Sie wies mit einem Nicken auf den blonden, muskulösen
»Wächter«, der sie gerade in den Armen gehalten hatte, als ich hereingestürzt war. »Wir haben das schon so viele Male miteinander gemacht, seit so vielen Jahren, daß ich mich schon beim bloßen Gedanken daran alt fühle.« Sie kicherte.
»Alt?« Scandal guckte unter Lucys Bett hervor. »Verschone mich, Grandma Moses. Aber da, wo ich herkomme, würdest du noch Pfadfinderinnenkekse verkaufen und keine heißen Waden.«
»Scandal, halt den Mund«, sagte Mysti. Sie befand sich mit Grym an der Tür und wechselte sich mit ihm beim Schmierestehen ab. Sie trugen die Umhänge, die Milkum und Curio abgeworfen hatten, und hielten sich bereit, den Platz der falschen Posten draußen vor Lucys Raum einzunehmen, sollten sie jemanden kommen hören.
»Ich kann es immer noch nicht fassen«, sagte ich. »Das, was Paps von dir glaubte, und … das hier ist ja noch tausendmal schlimmer.«
»Was hat der alte Knabe denn von ihr geglaubt?« fragte Scandal.
»Er hat sie mit einem Buch von Raptura Eglantine erwischt. Er dachte, sie würde lesen.« So sehr ich mich auch bemühte, schaffte ich es doch nicht, das Wort so sündig wie Paps klingen zu lassen.
»Na ja, ich begreife schon, daß ein von Neandertalern Ausgebildeter wie dein Papi Lesen für etwas Gefährliches halten könnte - es könnte ja sogar zum Nachdenken führen, Gott behüte - aber was sollte denn noch schlimmer sein als …?
»Schreiben«, sagte ich. »Sie ist Raptura Eglantine.«
Scandal heulte auf.
Milkum hopste von der Bank und trat an mich heran.
»Und als Raptura Eglantine hat deine Schwester eine Verpflichtung gegenüber ihrem Publikum. Ja, selbst König Steffan ist ein begeisterter Verehrer von ihr. Sobald er ihr allererstes Buch, So wild war mein Hexer, gelesen hatte, hat er ihr Talent anerkannt und belohnt.«
»Der König weiß, daß Lucy Gangle Raptura Eglantine ist?
Oh, welche Schmach!«
»Ganz bestimmt nicht.« Milkum rückte seinen Kragen zurecht. »Das würde doch die Aura des Geheimnisvollen und Romantischen zerstören, die Orbix’ beliebteste Autorin umgibt.«
Von seinem Platz unter dem Bett sagte Scandal: »Du machst wohl Witze. Willst du etwa behaupten, daß sie nicht nur die führende Schriftstellerin dieses Westentaschenkönigreichs ist, sondern gleich von eurer ganzen verborgenen Welt?«
»Jener Teile davon, die lesen können, aber ja. Die Werke von Raptura Eglantine sind in sämtliche Sprachen von Orbix übersetzt worden. Im Augenblick verhandeln wir gerade mit der Gilde der Barden, Schauspieler und Gaukler wegen der Rechte, ihre Bücher öffentlich zu rezitieren, dramaturgisch umzusetzen und mit ihnen zu jonglieren.« Milkum rieb sich die Hände. »Ach, es bereitet mir ja eine solche Befriedigung, daß ich der erste war, der sie entdeckte.«
»Das bereitet dir doch mehr als nur Befriedigung, Milkum«, warf Lucy schleppend ein.
»Na ja, ich bin auch ihr Agent«, gestand der kleine Mann.
»Und wer ist der da?« Ich wies mit dem Daumen auf Curio, der gerade eine kleine Lederflasche aus seinem Gürtel zogen hatte und seine quellenden Muskeln mit beschmierte. »Ihr Lektor?«
»Curio ist meine Inspiration, Kendar«, sagte Lucy. »Ich dachte, du wüßtest das: Bevor
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