Esther Friesner
Es bestand keine Gefahr, daß die Tiere von sich aus unter uns losbrechen könnten. Sie waren zu klug für solche Streiche. Sie würden geduldig warten, bis ihre Wärter ihnen das Signal gaben, loszulaufen.
Onkel Corbly und sein Gehilfe sahen nicht allzu glücklich über ihre neuen Rollen als Henkersknechte aus. Torse sagte sogar einmal zu unseren Ehren: »Potzblitz!«, aber Onkel Corbly war zu niedergeschlagen, um mit »Sapperlot!« zu antworten. Die anderen Diener des Königs hielten sich in der königlichen Kutsche auf, wo sie bequeme Sitzplätze und eine gute Aussicht hatten.
»Komm schon, komm schon«, knurrte der Wachsoldat, der Scandal stützte. »Typisch Barras: Erst alles huschhusch, und dann wartet man sich zu Tode. Wann fängt der Zirkus endlich an?«
»Warum hast du es denn so eilig, Köterchen?« fragte Scandal zuckersüß und grub dem Mann die Krallen in die Schultern, bis er aufschrie.
Der einzige Grund, weshalb wir noch nicht von unseren Schlingen baumelten, stand oben auf der Balustrade von Gut Uxwutsch. Meine Schwester benahm sich überhaupt nicht. Angefangen hatte sie damit, daß sie König Steffan, Zoltan und allen Männern des Königs die wüstesten Ausdrücke an den Kopf geworfen hatte, sobald sie uns aufgriffen. Dann war sie kurz von der Balustrade verschwunden und hatte versucht, aus dem Haus zu stürzen, um uns zu unterstützen, aber Hauptmann Bamf hatte die Türen verriegeln lassen, um unsere Diener daran zu hindern, den Söhnen ihres Herrn zu Hilfe zu eilen. (Er kannte unsere Diener nicht besonders gut. Allesamt wackere Käseburger, hatten sie sich im selben Augenblick, da der Ärger anfing, im Weinkeller versteckt.) Wir hörten, wie Lucy gegen die Türen hämmerte und dabei Ausdrücke gebrauchte, die selbst Hauptmann Bamf noch die Röte ins Gesicht trieben.
Als Lucy feststellen mußte, daß sie nicht aus dem Haus rauskam, war sie mit einem von Paps’ Langbögen wieder auf der Balustrade erschienen. Die Wachsoldaten wichen von Gut Uxwutsch zurück und hoben ihre Schilde schützend um König Steffan. Die Mühe hätten sie sich sparen können.
Erinnert ihr euch noch an die Nektarpiraten aus So sündig war mein Lustmolch? In der großen Schlachtszene nimmt Amberthral einem der gefallenen Seemänner das Schwert ab und tötet ungefähr fünfundsiebzig Piraten, obwohl sie noch nie im Leben eine Klinge in der Hand gehalten hat.
Lucy hatte diesen Unsinn nicht nur geschrieben, sie glaubte auch noch daran. Sie verbrauchte vier Köcher voller Pfeile, ohne irgend etwas zu treffen außer der Luft, dann bekam sie einen Wutkoller und zerbrach den Bogen in Millionen Einzelteile, indem sie ihn gegen das Geländer der Balustrade hämmerte.
Jetzt hatte sie eine Kiste herausgeschleppt, die mit Mamas gesammelten Parfümen und Kosmetikmitteln gefüllt war, und bewarf die Wachen damit. Mit dem Duftflakon war sie eine sehr viel bessere Schützin als mit dem Bogen. So kam zwar niemand ums Leben, doch die Männer, die von ihr getroffen wurden, mußten davonhuschen und sich hastig waschen, wenn sie nicht vor Verlegenheit auf der Stelle tot umfallen wollten, als ihre Kameraden sie damit aufzogen, wie hübsch sie doch dufteten. Für uns bestand nicht die geringste Aussicht auf eine nette, würdige Hinrichtung, solange niemand etwas gegen Lucy unternahm, und so ‘saßen wir nun hier und warteten.
»Bei Prodromias mageren und muskulösen Schenkeln, o Meister Kendar«, hörte ich Grym murmeln. »Solltest abwarten du die legendäre letzte Minute, eh uns’ren Speck du aus dem Feuer holst, so möcht’ ich doch untertänigst darauf hinweisen, daß dieselbe nunmehr angebrochen scheint.«
»Aber die Wachsoldaten des Königs haben mir doch meine Sauciere weggenommen. Schau mal, da hinten steht sie, auf der Tafel mit den Erfrischungen.«
Der Barbar legte den Kopf schräg und sah, daß ich wahr gesprochen hatte. Dort stand die verzauberte Sauciere und leuchtete fröhlich inmitten der Tabletts mit Keksen und Quarkschnitten, knapp außerhalb unserer Reichweite.
»Bedarfst du tatsächlich solcher Scherzartikel, um deine Kräfte zu manifestieren?« frage Grym.
»Vielleicht, vielleicht auch nicht. Mit der Sauciere scheint es zwar um einiges leichter zu gehen, aber was soll’s? Sauciere hin, Sauciere her, ich kann sowieso keinen Zauber ausführen, solange mir die Hände auf dem Rücken festgebunden sind.« Meine Stimme war leise und angespannt. »Es sind nicht nur die Worte, es sind auch die Gesten.«
»Wahrlich?
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