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Esther Friesner

Titel: Esther Friesner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Katze läßt das Zaubern nicht
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der Akademie für Hochzauberei wird stets genauestens darin unterwiesen, wie er sich im Palast und dem umliegenden Gelände zurechtfindet. Es wäre nicht tunlich gewesen, wenn er plötzlich in den Frauentrakt geschlendert, in eins der Privatlaboratorien gestolpert wäre oder draußen den falschen Weg eingeschlagen hätte, um plötzlich vor einem Schleimwurm zu stehen. Meister Thengor wäre äußerst verärgert gewesen, wenn einem von uns etwas zugestoßen wäre: Lebende Studenten bringen nämlich mehr Unterrichtsgebühren ein als tote. Deshalb wußte ich alles, was es über den Palast zu wissen gab.
    Meister Thengors Anwesen war von einem riesigen schmiedeeisernen Zaum umringt, der nur zwei Tore hatte.

    Das eine, das auf König Steffans königlichen Schnellweg hinausführte, war ebenfalls aus Eisen und wurde nur auf Meister Thengors ausdrücklichen Befehl aufgesperrt. Der Weg, der von diesem Tor zum Palast führte, war breit, eben und von duftenden Gärten gesäumt. Das andere Tor bestand aus Gold und führte auf einen schmalen, felsübersäten Ziegenpfad, der ständig verschlammt war, ganz gleich, welches Wetter gerade herrschte. Dieses Tor war nie abgeschlossen und wurde auch nie bewacht - denn wer wäre schon so töricht gewesen, das Gold eines Zauberers zu stehlen? Jeder Besucher, der Meister Thengors Anwesen vom Ziegenpfadtor aus betreten wollte, mußte einen langen, gewundenen Weg voller Schlaglöcher nehmen, der durch finster brütende Wälder führte, durch trostlose Moore, wo unsichtbare Tiere gespenstisch heulten, sowie durch stinkende Sümpfe. Meine Wahl lag auf der Hand.
    »Tja, ich schätze, das ist dann wohl das Frühstück«, meinte Scandal und sah auf das purpurne, stachlige Ding herab, das er gerade erlegt hatte. Gelbes Blut troff aus der zerfetzten Kehle, und es erwiderte den Blick des Katers mit seinem einzigen, glasig werdenden orangefarbenen Auge.
    , »Nein, ist es nicht«, widersprach ich. »Voondrabs sind Gift in Monaten ohne R. Und den Rest des Jahres über schmecken sie einfach nur scheußlich.«
    »Bäh.« Der Kater schnitt eine Grimasse und prügelte das tote Voondrab in den Sumpf. Einer der Fließer, der gerade auf der braunen Brühe trieb, schlang es herunter. »Rattenklopper …«
    »Ja, Scandal?«
    »Wenn du mich umbringen wolltest, hättest du doch einfach deinen Stock benutzen können, als ich dir den Rücken zukehrte. Ich glaube nicht, daß ich über genug Magik verfüge, um mich allzu heftig zu wehren.«
    »Aber du wirst mir doch helfen und mich bewachen, während ich schlafe, und Ausschau nach Zoltan halten. Weshalb sollte ich dich da umbringen?«
    »Och, ich weiß nicht so recht. Es sind eher die kleinen Dinge. Zum Beispiel kleine stinkige purpurne Dinge, die mit spitzen, widerhakigen Stacheln bewehrt sind und sich ohne jede Vorwarnung von Bäumen herabplumpsen lassen und versuchen, mir die Ohren abzubeißen!«

    Niemand, der ganz bei Trost ist, mag Voondrabs, aber ich fand doch, daß Scandal die Sache ziemlich aufbauschte.
    »Dieses Voondrab hätte dich gar nicht umbringen können.
    Es sei denn, du hättest es gegessen. Es hätte dir nicht einmal die Ohren abbeißen können. Du mußt nämlich wissen, daß den Voondrabs während der Paarungszeit die Zähne ausfallen …«
    »Deine Zähne sind auch nicht ganz ungefährdet, das kannst du mir glauben«, schoß der Kater zurück. »Warum, beim Heiligen Moritz, hast du uns bloß an diesen scheußlichen Ort geführt? Erzähl mir bloß nicht, daß der andere Weg zu etwas noch Schlimmerem geführt hätte!«
    »Allerdings.« Ich erzählte ihm von den beiden Wegen zum Palast des Meisters Thengor, dann hielt ich in der Erwartung inne, daß er mich zu meiner Wahl beglückwünschen würde.
    »Ein breiter, glatter, ebener Weg?« wiederholte Scandal.
    »Der zu einem großen Schnellweg führt? Von Gärten gesäumt? Ja, sogar hübschen Gärten? Gärten, die nicht so riechen wie die ungewaschenen Turnsocken eines Gorillas?
    Gärten, wo sich ein liebes Kätzchen wie ich vielleicht, nur ganz vielleicht, die eine oder andere Wühlmaus zum Frühstück hätte jagen können? Keine purpurne, stinkige, stachelige Wühlmaus, sondern eine richtige, normale, fette, saftige … ?«
    Ich nickte. Da nannte er mich wieder bei diesem Namen.
    »Hör mal, Scandal, nun mach mal halblang!« protestierte ich. Der Kater war immer noch damit beschäftigt, mich zu beschimpfen. Gut, daß er hauptsächlich Fremdwörter verwendete. »Wir hätten den anderen Weg gar nicht

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