Esther Friesner
nach unten blickte.
»Schau dir das an!« bemerkte er. »Ist das etwa die Generalprobe für Die Jungfrau von Orleans trifft auf Godzilla, oder was?«
»Pst. Ich denke, sie wird wohl so dreinblicken müssen, wenn sie vor dem König steht. Wahrscheinlich hat sie Angst vor ihm.«
Scandal sprang auf meinen Schoß, um besser zusehen zu können, wie Mysti auf den gekrönten Welfie zuging. »Ich glaube nicht, daß diese Biene sich vor irgend etwas fürchtet«, sagte er. »Ich glaube, die einzige Berührung, die die jemals mit dem Entsetzen hatte, waren die Gelegenheiten, da sie es ausgeteilt hat. Und du bist mit ihr verheiratet.
Dann zieh dir mal schön die Unterhosen mit dem Bleifutter an und renn um dein Leben.«
»Weshalb sollte ich denn Unterhosen mit …«
Ein hallender Hornstoß der Welfies erregte jedermanns Aufmerksamkeit. Diener hatten den mittleren Teil des Platzes aufgeräumt und dort, wo die Wurmfledermaus ausgeblutet war, einen flauschigen weißen Teppich ausgelegt. Der saugte an seinen Rändern ein paar verräterische rote Flecken ein, doch das machte Mysti oder ihrem Chef nichts aus.
Niemand, der bei diesem Festessen zugegen war, würde später behaupten können, daß er nicht gesehen oder gehört hätte, was geschah. Wir hatten jede Menge Zeugen, die man ins Kreuzfeuer hätte nehmen können. Und ich wünsche mir, wir hätten es auch getan.
Was geschah, war folgendes: Der Weifenherrscher schnippte mit den Fingern. Mysti kehrte ihm den Rücken zu, und er riß ihr die Flügel ab.
Ratsch! Einfach so. Das heftige Reißgeräusch ging mir durch Mark und Bein. Sämtliche männlichen Welfies fuhren zusammen, obwohl die Männer selbst gar keine Flügel hatten. Alle weiblichen stießen einen leisen Schrei aus. Wenn man mehrere Dutzend leiser Weifenschreie zusammenführt, erhält man ein ohrenbetäubendes, nervenzerrüttendes Geräusch, das ich nie wieder hören möchte, solange ich lebe.
Ich schoß halb von meinem Sitz hoch. Mein ganzer Körper knisterte von roher Magik. Der größte Teil von mir bebte vor Zorn und Mitleid ob Mystis Qualen; doch ein kleiner Teil in mir dachte hämisch: Jetzt kommt es! Jetzt habe ich wieder Zugriff auf meine Macht! Jetzt werde ich dem eine Lektion erteilen - von wegen meiner Frau die Flügel abzureißen!
Doch bevor ich diesen Gedanken auch nur im Ansatz umsetzen konnte, war schon alles vorbei. Mysti war zwar flügellos aber -
Wunder über Wunder - unversehrt. Nein, besser noch: Sie blutete nicht, war nicht zerzaust und wirkte alles andere als unglücklich!
Meine Magik sackte ab und ging aus wie eine Kerzenflamme, bevor ich auch nur eine Handvoll davon hatte ergreifen und gegen irgend jemanden schleudern können.
Mystis abgerissene Flügel zerschmolzen auf dem großen weißen Teppich und tönten ihn mit hübschen Farbstrudeln.
Zusammen mit dem Weifenchef trat sie wieder aufs Gras hinaus, während Diener sich beeilten, den Teppich aufzurollen und ihn ihrem Gebieter zu überreichen. Der gab ihn seinerseits an Mysti weiter und sagte dabei: »Es ist zwar kein großartiges Hochzeitsgeschenk, meine Liebe, aber es war ja alles so plötzlich, daß wir keine Zeit mehr zum Einkaufen hatten.«
Mysti schäumte fast über von Das-war-doch-gar-nichtnötigGeräuschen und kehrte wieder an unseren Tisch zurück. Sie verstaute den Teppich unter ihrem Stuhl und grinste mich an. »Wie war’s mit einem Kuß?«
»Wie war’s mit später?« konterte ich.
»Später wie in >nie«
»Später wie in >wenn die Esel tanzen lernen<.«
»In Ordnung. Mir macht es nichts aus zu warten.« Mysti wirkte überhaupt nicht verärgert über meinen Mangel an ehemännlicher Zuneigung. Irgend etwas lag hier im Busch.
Ich hoffte nur, daß es kein Anschlag war.
Jetzt führte der Welfenhäuptling eine ganze Mannschaft neuer Spieler aufs Mittelfeld. Irgendwas würde jetzt passieren, und weil alle dazugehörigen Welfies männlich waren, wußte ich, daß es etwas Spektakuläres und Nutzloses sein würde.
Als ich zum erstenmal meinen Fuß in den Wald von Euw setzte, hatte ich nicht einmal gewußt, daß Welfies existierten; doch im Laufe der Zeit hatte ich mehr über sie erfahren, als ich eigentlich hatte wissen wollen. Beispielsweise erledigten die Männer den ganzen Kleinkram, während die Frauen die eigentliche Arbeit leisteten. (Das Blut der Wurmfledermaus aufzuwischen, war Kleinkram, weil es nicht wirklich sonderlich anstrengend oder schwierig war, nicht allzu lange brauchte, und weil man sich die ganze
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