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Esti (German Edition)

Esti (German Edition)

Titel: Esti (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Esterházy
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existiert also wenigstens ein Mensch, den sie interessiert. Den alten Kovács, offensichtlich. Zu behaupten, ihn, Esti, interessiere die Literatur, wäre übertrieben und beleidigend. Die Literatur macht viel mit ihm, und er auch mit ihr, no details, doch man interessiert sich nicht füreinander. Das wäre, als würde er sagen, er sympathisiere mit seiner Liebsten. Oder mit seiner Mama. Hurensohn, mit deiner Mutter!
    Bloß Interesse wäre also viel zu wenig. Als würde er sich für sein Leben lediglich interessieren. (Es gibt übrigens diese Überlebensstrategie, doch seine ist es nicht.) Denn er, Esti, kann die Literatur und sein Leben schon nicht mehr auseinanderhalten. Zum einen, weil seine Tage faktisch so, damit vergehen, das heißt am Schreibtisch, zum anderen, weil er sein Leben als Stoff für die gerade zu machende Literatur, für seine Literatur betrachtet, was ein Gentleman zwar nicht tut, aber entweder – oder.
    Ich habe von Opa geträumt, erzählte Esti letztens seine andere Tochter, nicht die Aradszky’sche, von Estis Vater, und sie zählte Stück für Stück auf, welche Kleidung er getragen hatte. – Ich dachte, du freust dich darüber. Und so, mit der Kleidung, ist es auch glaubwürdiger. – Esti freute sich über den Traum, seine Tochter sprach, als wäre sein Vater nicht tot, dabei war er tot. – Ich habe das Gefühl, auch morgen werde ich von ihm träumen, er hat mich so angesehen. Diesen Blick hatte er nie. Willst du, dass ich ihn etwas frage?
    Es war (wieder) wie im Märchen, er habe drei Wünsche frei. Zuerst erschrak er darüber, über die Verantwortung, doch dann sagte er zu ihr voller Scham und schlecht gelaunt, wobei er sie nicht ansah, sie solle fragen, ob er ihn geliebt habe. Seinen Sohn. Das. Natürlich war er auf der Stelle schonungslos gerührt, er drehte sich in der Tür um, sah noch, wie seine Tochter lustlos abwinkte, und flüchtete ins Bad.
    Als er in den Spiegel blickte und diesen lächerlichen Mann mit dem roten, aufgedunsenen Gesicht sah, kam ihm sogleich jene beruhigende Frivolität in den Sinn, dass er dieses Bild noch gut irgendwo verwenden könnte. Und das bedeutet nicht, dass er die ganze Zeit außen vor bleibe, nein, hier ist alles real: Sein Schmerz ist real, seine Tränen, sein Selbstmitleid, seine Lächerlichkeit, und auch dieser forschende und ziemlich kalte Blick. Was interessiert ihn, so vor dem Spiegel, sowohl außen vor als auch mittendrin, die Literatur als solche?
    Er gibt zu, bisher hat er nicht viel zu der gestellten Frage gesagt, nur, dass er, Kornél Esti, Schriftsteller ist; was man durchaus auch aus anderer Quelle wissen kann. Doch er ist auch Leser, und warum interessiert ihn dann die Literatur? Wozu ist ein Stendhal gut?
    Er sagt es.
    Zuerst gibt er auf der Stelle zu, mit dieser unerwarteten und unbegründeten, ihm von seiner Tochter aufgezwungenen, neuen Ernsthaftigkeit, dass ihn … nun, wie müsste er das sagen, dass ihn alles interessiert, das heißt, ihn interessiert die Welt. Bitte schön: an sich. Was eigentlich die Welt ist. Oder um es mit dem weiter oben verhunzten, verteufelten Wort zu sagen – denn hier musst du leben, sterben hier –: Was in drei Teufels Namen die Welt ist. Und wie. Und er bemüht sich, diese Neugier zu befriedigen. Zum Teil sieht er sich um, zum Teil hört er sich an, was andere darüber denken. Man kann auf verschiedene Arten über dieses Dingsbums reden, sagen wir, in der Sprache der Religion, der Wissenschaft und der Kunst. Jede dieser Sprachen interessiert ihn, und die eine kann nicht durch die andere ersetzt werden. So würde er die Lage zusammenfassen. Er liest also aus demselben Grund Literatur, aus dem er betet oder den Herrn verflucht oder kuscht oder partiell ableitet. (»In Ihrer Freizeit leiten Sie also hier und da partiell ab?« – »Oh, nur metaphorisch, du Einfaltspinsel.«)
    Mit alldem hat er nun also gesagt, dass die Literatur eine Erkenntnisform ist, einmalig, unvergleichlich, ewig usw.; nur damit das klar ist.
    Doch vergebens wäre all das schön und wichtig, wenn man es satthat, partiell abzuleiten, dann wird man nicht partiell ableiten, es sei denn, man wird dazu gezwungen. Das heißt, Welt hin, Erkenntnis her, die Hauptsache ist der Genuss. Er, Esti, dingsbumst, liest gern. Man kann ihn also abhaken, ihn interessiert die Literatur tatsächlich. Noch jemanden, ist da noch jemand? (Abgesehen davon, dass wir nur zu gut wissen, dass da noch jemand ist.)
    Er möchte nicht in Verdacht geraten, hier auch

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