Esti (German Edition)
gelegentlich in Gestalt eines großen Literaturpreises auftaucht, dann verlasse ich mich besser auf die Romanhelden. Die Hälfte meines Lebens war schon vorbei, als mir an einem windigen Frühlingstag Kornél Esti in den Sinn kam, nein, ich korrigiere, ich Kornél Esti traf. Mein lieber Alter, teilte er mir sofort mit und kicherte, sie haben mir einen tierisch großen Literaturpreis angeboten.
Einen tierisch großen?, fragte ich argwöhnisch. Im Allgemeinen bekam ich die Preise.
Mmhh, sagte er und seine Mundwinkel zogen sich bis zu den Ohren. Fünf Millionen. Und er fügte begeistert hinzu: Brutto, mein Lieber, bruhuttoho!
Es wurde kurz still, auch wenn ich das Gefühl hatte, er wirft brutto und netto durcheinander. Keineswegs, sag mir nur, was mehr ist. Ein guter Literaturpreis ist wichtig, sinnierte ich. Deshalb ist er schwer zu stiften. Ansehen, Geld, Glück … Er ist wichtig für den, der ihn vergibt, und wichtig für den, der ihn bekommt. Ein Preis, der Prestige hat, tut allen gut, der gesamten Literatur … sogar dem Leser.
Und ich werde auch eine Rede halten!, er strahlte. Du lieber Gott, stellte ich fest und richtete meinen Blick zum leeren Himmel. Das kann ich mir vorstellen! Irgendein Aufrichtigkeitsanfall, was?! Schon wieder zehn Sekunden wortlose, aufrichtige Raserei, was?! (Zehn Sekunden wortlose, aufrichtige Raserei.) Und überhaupt! Einen Preis kriegen in diesem Land?! Das behauptet, in ihm gebe es Ehre, wo es doch ganz offensichtlich keine Ehre mehr gebe, besser, niemals auch nur so etwas Ähnliches wie Ehre gegeben habe. Nicht nur eine fürchterliche, furchterregende, sondern auch eine lächerliche Welt …
Nun, dann lach doch, murmelte Esti gleichgültig.
Aber dass wir in einer nicht nur fürchterlichen, furchterregenden und lächerlichen Welt existierten, in diesem zweifellos fürchterlichen, furchterregenden und lächerlichen Land, in dem Vaterland, in dem lächerlichsten und fürchterlichsten, in dem man ja niemals die Wahrheit sagen könne, zu keinem und zu und über nichts, denn nur die Lüge bringe in diesem Land alles vorwärts, die Lüge mit allen ihren Verschleierungen und Verschnörkelungen und Verstellungen und Einschüchterungen …
Gräm dich nicht, Alter. Ohnehin kein staatlicher Preis.
Das ist gut, flüsterte ich. In der Demokratie geschieht, was wir tun. Tun wir es, geschieht es, tun wir es nicht, geschieht es nicht. In der Diktatur bleibt man ein Kind, man will davonkommen und überleben. Hier jedoch muss man sich wie ein Erwachsener verhalten, als freies, verantwortliches Wesen. Es gibt nicht nur den Staat und den ausgelieferten Einzelnen, es existiert auch die Gesellschaft. So ein Preis zeigt und stärkt gerade die Existenz der Gesellschaft, zeugt von ihrer Autonomie, kultiviert den Raum, in dem es schließlich doch selbstverständlich ist, zivil das Wort zu ergreifen. Bürger, platzte ich laut heraus. Vielleicht könntest du auch noch ein Márai-Zitat bringen. Armer Márai. Vor zehn Jahren haben sie Bibó-Zitate heruntergeleiert, jetzt Márai-Zitate wie Sand am Meer.
Kornél Esti zuckte nur leicht die Schultern, kaum, als zuckte Sándor Rózsa mit der Augenbraue. Wieder wurde es kurz still.
Worüber willst du denn reden?, bohrte ich. Er beugte sich ernst zu meinem Ohr, als würde er es küssen. Oder er küsste es auch. Und sagte etwas. Panisch fuhr ich zurück. Ich hatte damals ein Geheimnis. Schleppte es mit mir herum. Wenn ich in den Spiegel blickte, sah ich mein Gesicht und wusste nicht, von wem die Rede war.
Nein! Nein! Ich bitte dich inständig, das nicht. Das ist unmöglich.
Mein lieber Alter, habe vor nichts Angst. Wenn es Worte gibt, muss man es sagen.
Ich habe keine Angst – und ob ich hatte –, nur ist das jetzt nicht aktuell beziehungsweise jetzt noch nicht, ich bitte noch um ein wenig Aufschub, nicht viel, nur ein wenig, ich würde mich wirklich mit wenig zufriedengeben … Ich bettelte traurig.
Bist du verrückt geworden?, er sah mich verblüfft und angewidert an. Du sprichst mit mir, als wäre ich der Tod, der Tod höchstpersönlich … Ich könnte sagen, du bist mir ein schöner Freund … Ich danke dir wirklich, der reinste Wahnsinn, könnte ich sagen, danke schön! Natürlich hatte er auch schon bis dahin Luft geholt, hier aber, vor dem letzten »danke schön« mit Sicherheit.
Danke schön.
Und vorsichtig, ein Bein nach vorn schiebend wie Zirkuspferde, wie es die Bandscheibenvorfall-Gebrauchsanweisung vorschreibt, verbeugten wir uns. Was
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