Esti (German Edition)
schwärzer, sagt (sagte) die Malerin. Ultramarinblau ist das beste Grau. Kobaltblau hat keinerlei Kraft.
Kornél Esti sah aus einem schummrigen Winkel dem Maler bewundernd zu. (Hat es je einen Winkel gegeben, der nicht schummrig war, und wenn er es nicht war, dann nicht allein deshalb nicht, um nicht gerade nicht schummrig zu sein? Ausnahmsweise aber drösele ich die Beziehung von Sprache und Wirklichkeit jetzt nicht auseinander – es kommt sowieso noch ein Ultramarinblau drauf.) Gar nicht bewundernd, eher neidisch, frohlockend neidisch – nun, das ist schon fast Bewunderung, es braucht dazu bloß ein mit einem Tropfen Ocker wild gemachtes Indischgelb –, und er jauchzte, sozusagen, wie üblich: Auch das! Auch das ist besser! Alles ist besser! Glückspilze! Die Malerei ist besser, das Saxophon ist besser, alles ist besser als das Schreiben, es ist besser, zu malen, als zu schreiben, besser, Saxophon zu spielen, als zu schreiben.
Was soll das heißen, besser?, hätte die Malerin gelassen gefragt, wenn sie zu fragen gepflegt hätte. Sie hätte, und darauf ist auch zu antworten.
Nun, in diesem »Alles ist besser« lag doch etwas Kokettes! Schon. Doch wie tief und ernst und radikal ist dieses Kokette, Karpatenbecken-kokett, Donau und Olt sind ein Kokettes (denn damals war das Kokette noch kokett), dann das Pilis-Kokette und meinetwegen das der Berge von Alberdwosch, und das von Beckett und von Camus – doch still, mein Herz, sei still! (Es wird still.)
Esti starrte voller Sehnsucht auf die farbfleckigen Hände des Malers. Das ist es, an den Händen sieht man den Charakter, das Gesicht der Arbeit, die Materialität; deshalb liebte er offensichtlich auch seine Tintenfinger, denn zuweilen waren seine Finger tintebeschmiert, KÖNIGSBLAU , Royal-Blue, Bleu-Royal, Azul-Real. Er traute sich näher ran. Den Maler überkam die Schamlosigkeit des Schaffens, er sah und hörte nichts. Und er spielte für Esti sogar ein wenig.
Der Maler spielte gern. Seine Bilder nicht. Was für ein starker Reflex, die Beziehung zwischen Schöpfer und Werk zu definieren, zu zeigen, sich darüber zu freuen … das vergegenständlichte Ich, dachte Esti. Kann es sein, dass die Bilder des Malers gerade darüber friedlich melancholieren? Die der Malerin sicher nicht, die sind (schon) weiter. Nicht dass es einen Weg gäbe – das »schon« könnte das suggerieren, irrtümlich. Musik: das übliche Janis-Joplin-Gelächter vom Ende von Mercedes Benz : Anhand der Bilder könntest du nicht sagen, welches der Mann ist, welches die Frau. Böse gesagt: wenn, dann eher umgekehrt. Verständnisvoll: in der Frau den Mann, im Mann die Frau; was nochmal haben wir verstanden?
Bevor er noch auf das entstehende Bild hätte blicken können, wurde sein Blick buchstäblich von dem Foto gefesselt, jenem Morgen. Du, mein alter Freund, ließ sich Esti vernehmen, als wäre er in einem Ottlik-Text (mein guter alter Freund, liebster Bébé), die hauchfeine Sfumato-Fraktur – na, na! – kann das Gemälde sowieso nicht wiedergeben. Blödsinn, der Maler nickte prompt. Wer sagt denn, dass man irgendetwas wiedergeben muss? Esti, bemerkte Esti, präsentierte sich tatsächlich, du weißt schon, dämlicher, als er eigentlich war. Das Foto kann die Zeit nicht so behandeln wie das Gemälde oder, noch einfacher: Auf dem Foto existiert keine Zeit, beziehungsweise sie existiert, doch sie ist erstarrt, auf dem Gemälde hingegen existiert sie, und wie einen fetten Brocken vor der Nase entlang zog der Maler den Pinsel über das Papier.
Inzwischen war die Malerin, begleitet von Streif- und Gegenlicht, aus dem Garten hereingekommen.
Sie verändert sich, wenn sie in die Nähe eines Bildes kommt, sie leuchtet und ein schwerer, starker Ernst befällt sie, sie beginnt ihren Bildern zu ähneln (nichtsdestotrotz ist das nicht, ist auch das nicht die Rekonstruktion des »cartesianischen Egos«), sie besah sich die auf die Erde gelegten Stücke, die bereits fertigen Morgenbilder des Malers; Estis Blick stürzte sich wie der Geier (bleiben wir beim täglich Brot: Milan, Steinadler und, neuerdings: röchelnder Turul) auf das Gesicht der Frau. Das Gesicht schloss alles aus, als wäre ausschließlich das Bild zu sehen, das sie mit großer Aufmerksamkeit betrachtete. Dann ging sie ohne ein Wort, eine Regung, ein Zucken des Gesichts hinaus. Das ist nicht leicht: hereinkommen, dann hinausgehen. Doch was ist schon einfach, hier braucht es nicht einmal ein Fragezeichen. Sie ging hinaus in den Garten.
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