Etenya Saga - Band 1: Soyala - Zeit der Wintersonnenwende (German Edition)
dort aus sprang sie in fließenden Bewegungen von Fels zu Fels in das satte Grün, ständig umringt von fremden Geräuschen und Gerüchen.
In ihrem rasanten Lauf durch verhangene Pfade, über umgestürzte Baumstämme und durch einen kleinen Bach, rauschte ein dichtes Blättermeer an ihr vorbei. Vor ungewöhnlich hochgewachsenen Bäumen blieb Olivia schließlich stehen und ließ ihren Blick an ihnen emporwandern. Sie waren so riesig, dass die Baumkronen vom Boden aus nicht komplett zu erkennen waren. Eine raue Rinde schütze ihre mächtigen Stämme, in deren Furchen sich fächerförmige Pilze ausbreiteten. Von den ausladenden Ästen, die sich erst ein ganzes Stück weiter oben auszudehnen begannen, hingen lianenartige Gewächse hinunter, die weiße Blüten mit tellergroßen Kelchen und violetten Stempeln trugen. Am Fuße der Bäume erblühte ein duftendes Blumenmeer, das in den verschiedensten Farben leuchtete.
An einer Stelle hatten sich winzige, blaue Blumen angesammelt, auf die Olivia zusteuerte. Sie lief links am Baumstamm vorbei und gelangte zu einer kleinen Lichtung, die sich inmitten des dichten Grüns befand und von riesigen Felsbrocken halb umringt wurde.
Plötzlich veränderte sich die Art der Erinnerungen.
In schnell wechselnden Bildern lernte Olivia einige Personen kennen, die für Lenno wichtig zu sein schienen. Zuerst sah sie seine Mutter, Winema Pavati. Zu ihrer Überraschung verstand sie die Bedeutung dieses Namens auf Anhieb - das Oberhaupt blickt durch klares, reines Wasser. Sie hatte die gleiche Augenform wie Lenno. Wie auch bei ihm umrahmten lange Wimpern ihre Augen, doch im Gegensatz zu seinen waren ihre hellblau. Sah man sie an, war es, als schaute man in einen klaren Bergsee. In Lennos Erinnerungen sah sie ihn liebevoll und voller Stolz an, was ihrer Schönheit eine besondere Ausstrahlung verlieh.
Es folgten Bilder von Lennos Schwester, von der er ihr bereits erzählt hatte. Wenona, die Erstgeborene, hatte einen zweiten Namen, Kaya, die ältere Schwester . Ihre hohen Wangenknochen, ihre makellose Haut, die feinen Züge und ihr voller Mund gaben ihrem Gesicht etwas Würdevolles und zugleich strahlten ihre Augen, Lennos Augen, eine unglaubliche Wärme aus. Besonders hübsch wirkte sie in den Erinnerungen, in denen sie ihre Töchter Winona, ebenfalls die Erstgeborene , und Nashota, der Zwilling , betrachtete oder über sie sprach.
Bei diesem Blick in die Vergangenheit spürte Olivia Lennos enge Verbundenheit und Liebe zu seiner Familie. Hier war der Platz, an dem er voller Vertrauen lebte.
Doch dieses Gefühl schwang urplötzlich ins Gegenteil um.
Es war gerade bei diesen extrem gegensätzlichen Emotionen sehr verwirrend, erst immer ihre eigenen Empfindungen zu spüren, bis dann diejenigen aus Lennos Erinnerung zu ihr durchdrangen.
Ein großer Mann mit einer kräftigen Statur und einem markanten Gesicht blickte ihr aus eiskalten Augen entgegen, die es ihr unmöglich machten, länger als nötig hineinzuschauen.
Nukpana war sein Name.
Er musste derjenige sein, der Olivia verfolgen ließ und von dem Lenno gesagt hatte, dass er ein Mistkerl sei. Sie wusste sofort, was er meinte, denn Nukpana strahlte eine unbeschreibliche Härte aus, die ihr augenblicklich Angst machte. Die Aura um ihn strömte weitaus mehr Boshaftigkeit und Gemeinheit aus, als die von Bidziil und seinen düsteren Begleitern. Als Bidziil tatsächlich auftauchte, blieb Olivia fast das Herz stehen.
Nukpana stand in seiner Furcht einflößenden Erscheinung direkt vor ihr und starrte sie mit seinen eiskalten Augen an.
„Du suchst mir diese Onida Kanti und bringst sie mir!“ Sein Befehlston ließ keinen Widerspruch zu.
In Olivia zog sich alles zusammen und es fühlte sich an, als würden ihre Innereien nach außen gestülpt.
Das war der Mann, der hinter ihr her war?
Am liebsten hätte sie ihre Beine in die Hand genommen und wäre gerannt, einfach nur weggerannt. Sie hätte geschrien oder bestenfalls wäre sie vor lauter Angst tot umgefallen. Doch sie steckte in Lennos Erinnerungen fest und spürte plötzlich, wie sich ihre Angst zunächst abmilderte und dann in einen Widerwillen umschlug, der von extremem Hass diesem Mann gegenüber gespeist wurde. Lenno würde niemals irgendeinen Befehl von diesem Mistkerl entgegennehmen oder ausführen! Auch Olivia war erfüllt von seiner Verachtung für Nukpana, die sich weiter steigerte, als dieser näher an ihn herantrat und mit einem amüsierten Aufblitzen in seinen Augen
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