Eternity
erzählen, ohne dabei zu viel von sich preiszugeben.
»Wahrscheinlich liegt es daran«, sagte sie und wählte ihre Worte sorgfältig, »dass sie so viel für die Menschen bewirkt hat, obwohl sie arm und nur ein Mädchen war … was zu der Zeit, als sie lebte, von großem Nachteil war. Sie machte Voraussagen, bemerkenswert präzise Voraussagen. Zuerst glaubte ihr niemand, aber bald überzeugte sie so viele Menschen, dass sie eine Audienz beim König bekam. Und er glaubte ihr.« Meena kniff die Augen zusammen und betrachtete das Gemälde. Wie mochte es wohl für Johanna gewesen sein? »Natürlich sagten die Leute, sie sei wahnsinnig. Heute meinen manche Wissenschaftler, die ›Stimmen von Gott‹, die sie hörte, seien der Beginn einer adoleszenten Schizophrenie gewesen. Als Teenager war sie dafür wohl im richtigen Alter …«
»Aber Sie glauben das nicht?«, warf Lucien ein.
Meena errötete erneut und blickte auf ihre Schuhspitzen.
Sie machte sich nichts vor. Sie wusste genau, dass sie sich wegen ihrer inneren Stimmen mit Johanna verwandt fühlte. Sie glaubte zwar nicht, dass ihre Vorahnungen von Gott kamen, aber sie wusste auch, dass sie nicht schizophren war.
»Sie hat so viele Menschen von ihrer geistigen Gesundheit überzeugt, dass sie letztendlich vor den König gebracht wurde … und er glaubte ihr. Wie hätte eine Irre einen König täuschen können, dessen eigener Vater psychotisch war? Er hätte doch die Anzeichen erkannt. Nein«, sagte Meena und schüttelte
den Kopf. »Sie war nicht schizophren. Sie wusste vieles einfach. Sie war die größte Militärstrategin, die die französische Armee jemals hatte … ein junges Mädchen, das auf die Stimmen in seinem Kopf hörte und die Soldaten immer wieder zum Sieg führte.« Verlegen stellte Meena fest, dass ihr Tränen in die Augen getreten waren. »Bis sie schließlich«, fuhr sie mit erstickter Stimme fort, »vom Feind gefangen genommen, von ihrem König verlassen und auf dem Scheiterhaufen als Hexe verbrannt wurde.«
Luciens Lächeln war amüsiert gewesen, bis er Meenas Tränen sah. Sein Mund zuckte, und er streckte die Arme nach ihr aus. Plötzlich lag Meena an seiner Brust, und er hielt sie mit seinen Armen umschlungen.
»Du siehst aus wie sie«, sagte er leise in ihre kurzen dunklen Haare.
Meena schämte sich ihrer Tränen. Es war so peinlich, weinend in Luciens Armen zu liegen. »Nein«, widersprach sie hastig. »Ich habe nichts mit ihr gemeinsam. Wirklich nicht. Ich …«
»Doch«, sagte er und hielt sie ein wenig von sich ab, damit er ihr in die Augen sehen konnte. »Das habe ich sofort gesehen. Deine Haare sind kürzer und dunkler, aber du strahlst die gleiche Intensität aus. Sag mir etwas: Hörst du auch Stimmen, Meena Harper?«
Sie wusste nicht, was sie tun sollte. Am liebsten hätte sie laut geschluchzt. Oder auch gelacht. Und sie hätte es so gerne zugegeben.
Ja. Ja, ich höre auch Stimmen. Nur nicht über dich.
Was nur eins bedeuten konnte: Entweder ging ihre »Gabe« langsam verloren, oder …
Er würde nicht sterben. Lucien Antonescu würde nicht sterben. Jedenfalls noch lange nicht.
Und dann, bevor sie sich eine Antwort auf seine Frage ausdenken konnte, legte er ihr die Hand unters Kinn und zwang sie, ihn anzusehen. »Meena«, sagte er leise. »Was verbirgst du vor mir?«
»Nichts«, log sie. »Ich schwöre es.«
Und dann geschah das Unglaubliche. Seine Lippen senkten sich auf ihre.
Meena erstarrte. Sie wusste nicht, was sie tun sollte. Es war schon so lange her, seit ein Mann sie geküsst hatte, sie konnte kaum glauben, dass es überhaupt geschah.
Und doch lag sie in seinen Armen. Er drückte sie fest an sich. Sie spürte seine Lippen an ihren, seltsam kühl, wie auch seine Finger, aber süß und geduldig …
Und Meena gab sich dem Kuss hin.
Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, schlang die Arme um seinen Hals und erwiderte seinen Kuss. Mit geschlossenen Augen schmiegte sie sich an ihn und atmete tief seinen sauberen Duft ein.
So war sie noch nie geküsst worden. Ihr war, als ob der Himmel sich geöffnet hätte und der Mond sein strahlendes Licht über sie ergießen würde.
Sie kam sich so … kostbar vor. Er hielt sie, als sei sie ein wertvolles Gefäß, eine Ming-Vase vielleicht, die zerbrechen könnte, wenn er zu viel Druck ausübte. Seine Lippen erforschten sie vorsichtig zunächst, aber dann zunehmend leidenschaftlicher. Und dann schien es, als sei ein Damm bei ihm gebrochen, und all seine höfliche Zurückhaltung
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