Ethik: Die Grundfragen unseres Lebens von der Geburt bis zum Tod
die Sinnangebote der Medien durchschauen und zu ihnen eigenständig Stellung nehmen. Die Medienethik muss aus ihrer produzentenorientierten Verengung heraustreten und die Nutzer stärker ins Zentrum stellen.
Bereits im Jahr 1994 schlug der Philosoph Hermann Lübbe einen solchen Perspektivenwechsel in der Medienethik vor. Er nahm in erster Linie nicht die Medienproduzenten, sondern die Mediennutzer in den Blick. Dafür prägte er den Begriff der «Mediennutzungsethik» (Lübbe 1994). Manche verwenden dafür inzwischen den Begriff der «Publikumsethik» (vgl. Holderegger 2004; Funiok 2007). Dieser Begriff umfasst nicht nur die Nutzung der Medien, sondern auch die kritische Diskussion über sie.
Eine Mediennutzungsethik oder Publikumsethik versteht sich nicht von selbst, denn als Leitbild der Informationsgesellschaft gilt der flexible Mensch. Oft erscheint er im Zerrbild eines elektronischen Nomaden. Zur Bildung eigener Überzeugungen hat er keine Zeit. Seine Mediennutzung ergibt sich aus beruflichen oder privaten Notwendigkeiten, aus Informationserfordernissen oder dem Wunsch nach Zerstreuung wie von selbst. Begrenzt wird diese Nutzung durch die verfügbare Zeit. Ebenso wenig Zeit wie für das Nachdenken über die eigene Mediennutzung hat der elektronische Nomade für die Erziehung der nächsten Generation. Falls er Kinder hat, überlässt er deren Umgang mit den Mediender Technik selbst. Die Verantwortung für das Wohl der Kinder wird an «Cybersitter» und «Net Nanny» übergeben. Sie werden als Software eingesetzt und filtern diejenigen Fernseh- oder Internetangebote heraus, die im Blick auf «Sex and Crime» für die kleinen Kinder schädlich sein können. Was übrig bleibt, ist eine vermeintlich ungefährliche elektronische Rundumversorgung. Sich persönlich für den Fernseh- oder Internetkonsum seiner Kinder zu interessieren erscheint dadurch als überflüssig. Dass ein solcher Umgang mit den Medien vertretbar ist, lässt sich mit guten Gründen bezweifeln.
Im Medienzeitalter stellt sich die Frage nach den Tugenden neu. Es geht um Tugenden, die dabei helfen, inmitten der Fülle kommunikativer Angebote ein selbständiger Mensch zu bleiben, der aus der Vielfalt der Angebote auszuwählen vermag. Angesichts der Vervielfältigung von Optionen wird neu nach den Bindekräften gefragt, mit deren Hilfe in einer weithin virtuellen Welt menschliche Beziehungen entstehen und Bestand gewinnen können. Es geht darum, wie menschliche Freiheit auf Dauer möglich ist und wie Menschen füreinander Verantwortung übernehmen können.
Sich in kulturpessimistischem Abscheu von der Entwicklung der Informationsgesellschaft abzuwenden, führt nicht weiter. Niemand kann den Übergang zu den neuen Medien ungeschehen machen, und von ihren Vorteilen machen auch Kulturpessimisten oft reichlich Gebrauch. Ein eigenständiges Verhältnis zu den modernen Medien entsteht weder aus deren gedankenloser Nutzung noch aus kulturpessimistischer Verweigerung.
Bei aller Vielfalt der Lebensformen kommt es vor allem auf verlässliche Beziehungen für das Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen an. Unter solchen Bedingungen erschließen sich ihnen am ehesten die drei vorrangigen Dimensionen von Verantwortung: für sich selbst, für andere Menschen und für die natürlichen Bedingungen des Lebens. Individualverantwortung, Sozialverantwortung und Umweltverantwortung werden zu Horizonten, innerhalb deren sich die Orientierung des eigenen Lebens aufbaut.
Der eigenständige Umgang mit den Angeboten der Medien ist auf Haltungen angewiesen, die man als Tugenden bezeichnet. Gerechtigkeit, Tapferkeit, Klugheit und Maß werden nach einer auf den griechischen Philosophen Platon zurückgehenden Tradition als «Kardinaltilgenden»bezeichnet. Unter ihnen findet das Maßhalten nur selten Aufmerksamkeit. Im Blick auf die Mediennutzung ist aber genau diese Tugend entscheidend. Denn unmäßiger Medienkonsum, konstatiert Hermann Lübbe, wirkt destruktiv, ja er macht freiheitsunfähig. Gemeint ist damit nicht nur der unmäßige Konsum von Unterhaltung, sondern ebenso die uferlose Aufnahme von Nachrichten und Kommentaren über das Weltgeschehen.
Die Tugend des Maßhaltens ist auf Vorbilder angewiesen. Während in manchen Familien durch pausenlosen Medienkonsum kaum eine Chance besteht, das Auswählen zu lernen, setzen sich in anderen Familien die Eltern selbst Grenzen, um die Richtlinien für den Medienkonsum ihrer Kinder glaubwürdig vertreten zu können.
Genauso
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